Cárdenas Alfonso, Barbara

Barbara Cárdenas Alfonso (* 14. Januar 1954 in Werne) ist eine hessische Politikerin (Die Linke) und ehemalige Abgeordnete des Hessischen Landtags. Sie wohnt seit 1993 in Dietzenbach.

1979 heiratete sie ihren Ehemann. Vorher hieß sie Bärbel Schlinkert.

Im Dietzenbacher Stadtparlament war Sie Stadtverordnete für die Dietzenbacher Liste und später für Die Linke.
Aktuell ist sie Mitglied des Magistrats.

Sie hat sich sehr stark im Verein Zusammenleben der Kulturen in Dietzenbach engagiert. Dort war sie eine Zeit lang 2. Vorsitzende.


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https://de.wikipedia.org/wiki/Barbara_C%C3%A1rdenas_Alfonso

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http://www.cardenas-pfiffigunde.de/lebenslauf.htm

Meyer, Dr. phil. Klaus

  • hat ein Vierteljahrhundert in Dietzenbach in der Hessischen Jugendbildungsstätte gearbeitet
  • Engagement in der Solidaritätsarbeit für Nicaragua und Kuba
  • Vereinsaktiver beim Monimbó e.V.
  • Er setzte sich für das Wandbild aus Nicaragua (Künstlergruppe “Diriangen”) ein, was an das Rathaus gehängt werden sollte. Die politische Mehrheit verhinderte dies.

Aus der TAZ vom 21. 8. 1998:

Freiheit, die wir meinen
Vom hessischen Dietzenbach nach Berlin-Kreuzberg: Die von „rechtschaffenen“ Bürgern erzwungene Odyssee eines lateinamerikanischen Wandgemäldes  ■ Von Peter Nowak

Aus dem Urlaub zurückkehrende KreuzbergerInnen werden sich verwundert die Augen reiben. An der Häuserwand Oranienstraße Ecke Manteuffelstraße, dort wo seit den 80er Jahren politische Losungen und Wandmalereien nicht selten den Zorn von PolitikerInnen auf sich zogen, werden dann auf einem riesengroßen Gemälde Szenen aus der Geschichte des amerikanischen Subkontinents zu sehen sein.
Neben namenlosen Indigenas mit Fahnen und Spruchbändern dürfen die lateinamerikanischen Freiheitshelden der verschiedenen Epochen nicht fehlen: Simon Bolivar, Tupac Amaru, Sandino, Salvador Allende und natürlich Che Guevara. Das Bild erinnert nicht zufällig an die als Revolutionstrophäen aus dem sandinistischen Nicaragua der 80erJahre so beliebten Wandteller und Postkarten. Es wurde von vier KünstlerInnen aus der nicaraguanischen Stadt Masaya in Zeiten gemalt, als auch manche Stadtverwaltungen noch von Nicaragua libre schwärmten.

Dazu gehörte auch die rot-grün regierte hessische Kleinstadt Dietzenbach, die 1985 eine Städtepartnerschaft mit Masaya geschlossen hatte. Mehrere KünstlerInnen aus Masaya wollten ihrer deutschen Partnerstadt als Dank für die Solidarität mit Nicaragua ein Wandbild schenken. Bei der Dietzenbacher Stadtratsmehrheit stieß das Projekt auf große Zustimmung. Man wollte den KünstlerInnen zum 500. Jahrestag der „Entdeckung“ Amerikas im Jahre 1992 die Möglichkeit geben, dieses Jubiläum aus der Perspektive der „Entdeckten“ darzustellen. Das Gemälde sollte an exponierter Stelle an der Außenwandfläche des Dietzenbacher Rathauses angebracht werden. Doch dazu sollte es nicht kommen.

Mit populistischen Parolen mobilisierten die örtliche CDU und eine extra zur Verhinderung des Gemäldes gegründete rechtspopulistische WählerInnengemeinschaft „Bürger für Dietzenbach“ die schweigende Mehrheit. In Briefen an alle Dietzenbacher WählerInnen hieß es: „Keine politischen Diffamierungsversuche am Rathaus oder an einem anderen Ort. Wir Dietzenbacher haben andere Sorgen.“ Ein CDU-Stadtverordneter wollte statt des exotischen Gemäldes ein Bild über die Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg am Rathaus anbringen lassen. Auf Druck der Opposition wurde eine BürgerInnenbefragung angesetzt, an der sich allerdings nur knapp 20 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten, von allerdings 80 Prozent gegen das Bild votierten Klaus Mayer vom Verein „Monimbo e.V.“, der sich für das Gemäldes einsetzte: „Einer ganzen Reihe von Menschen in Dietzenbach war es leichtgefallen, die meist sehr positiv geschätzte Solidaritätsarbeit mit Spenden oder städtischen Zuschüssen zu unterstützen. Daß jetzt aber Künstler aus diesem Land ihre Sicht der Welt und ihre Version der Ursachen der Armut in ihrem Land, an dem wir mitschuldig sind, darstellten, das möchte man auch als hilfsbereiter Mensch nicht hinnehmen.“ Besonders die SPD habe sich wachsweich verhalten und insgeheim von dem Bild distanziert, meint Mayer. Auch an der SPD-Basis fanden die Parolen der GegnerInnen Gehör, wie das Debakel für die SPD bei den folgenden Kommunalwahlen zeigte.

Seit 1992 tingelte der Auslöser des ganzen Streits dann als Wanderbild quer durch die Republik. Mal machte es Station auf dem evangelischen Kirchentag, dann hing es für einige Zeit an einem Jenaer Einkaufszentrum, zuletzt in der Potsdamer Innenstadt. Ab Samstag soll es nun in Kreuzberg einen festen Platz bekommen. Mit Widerstand gegen das Gemälde ist dort nicht zu rechnen. Eher bestünde die Gefahr, daß es im bunten Kreuzberger Flair nicht richtig wahrgenommen wird, befürchtet ein Berliner Mitorganisator. Die Enthüllung und Präsentation wird mit einem Straßenfest begangen. Die Aktion läuft im Rahmen der bundesweiten „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen“.

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https://taz.de/Freiheit-die-wir-meinen/!1329387/


Aus der Zeit vom 3.4.1992:

Der Teufel an der Rathauswand
Ein Held, ein Schuft und ein umstrittenes Kunstwerk
Von Hartmut Blinten

Dietzenbach

Hans Schmandt, der örtliche Maler-Senior, wählte für den Eklat die Bühne. Bei einer Vernissage in der Galerie seines Künstlerfreundes Karl-Heinz Wagner schleuderte er vor ausgewähltem Publikum die Kulturpreis-Medaille dem Bürgermeister Jürgen Heyer wie einen Fehdehandschuh vor die Füße. Der Sozialdemokrat empörte sich zwei Tage später, als er die Sprache wiedergefunden hatte: “Das war ein blanker Affront gegen mich.”

Mit seinem Tiefschlag setzte der lokale Kunstpapst einen vorläufigen Höhepunkt in einem Streit, der dietzenbachtypische Züge trägt: ein Held (der Künstler Schmandt), ein Schuft (der Kommunist Weilmünster) und die Kanalgebühren im Hintergrund.

Auf der Strecke bleibt dabei voraussichtlich ein Wandbild, mit dem die Künstlergruppe “Diriangen”, benannt nach einem Nica-Häuptling aus der nicaraguanischen Partnerstadt Masaya, zum Kolumbus-Jubiläum 500 Jahre europäische Segnungen für Lateinamerika thematisieren will. Das Bildnis, das sieben Meter breit und siebzehn Meter hoch auf der Rathaus-Eckwand einen Blickfang bilden würde, führt den Passanten in Augenhöhe die Ahnengalerie lateinamerikanischer Revolutionäre vor: Simon Bolivar und Tupac Amaru, Sandino, Che Guevara und Salvador Allende.

Fidel Castro ging schon bei einem Vorentwurf über den Deich, ebenso verschwanden der Raketenkranz auf dem Kopf der Freiheitsstatue und die Totenköpfe im US-Banner. Nur noch für Weitsichtige erkennbar ist ganz oben links die Ausrottung der Hoch- und Primitivkulturen des Subkontinents. Der Gruppensprecher Noel Calero: “Wir malen die Realität, in der unsere Völker leben.”

Pate des Projekts auf Dietzenbacher Seite ist Richard Weilmünster, der letzte Ur-Dietzenbacher im Magistrat und der einzige kommunistische Stadtrat in Hessen. Er dichtete seine Pläne nach dem Prinzip ab, daß man Bäume am besten im Wald versteckt. Zur Diskussion über jede einzelne Entwicklungsstufe lud er öffentlich ein, aber kaum jemand kam – vor allem nicht der Dietzenbacher Künstlerkreis um Schmandt und Wagner. 15 000 Mark Komplementärfinanzierung der Stadt wurden im Etat verankert, aber die CDU-Opposition erkundigte sich lediglich, warum die Summe beim Untertitel “Bürgerhaus” verbucht wurde. Aus der insgesamt neunstündigen Diskussion über die Bildentwürfe zog sich der CDU-Vertreter nach fünfzehn Minuten zurück.

Feuer bekam Weilmünster dann aber aus einer Ecke, mit der er nicht gerechnet hatte. Ein Schmandt-Freund, der Graphiker Günther Schwinn, machte mobil: “Hier geht es um eine Partnerschaft mit Sandiriisten, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht getragen wird.” Er investierte 1200 Mark in eine sechsspaltige Anzeige im Stadtanzeiger (“Wir sind dagegen”) und sammelte über 3000 Unterschriften. Schwinn über seinen Erfolg: “Da ist so viel anderes passiert, da war das Wandbild nur noch der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat.” Das andere sind vor allem die neuen Kanalgebühren, die – ökologisch gesehen – sehr fortschrittlich, aber so kompliziert sind, daß sie die Stadtverwaltung nicht in den Griff bekommt. Seit mehr als einem Jahr jagen sich Gebührenbescheide und Widersprüche. Schaden hat zwar außer der Stadt noch niemand erlitten, aber die Bürger sind pikiert.

Der Teufel an der Rathauswand – Seite 2
Hans Schmandt, der das Wandbild nicht für “ein Werk der Kunst, sondern der Propaganda” hält, erinnert sich an die Zeiten, als sich die städtische Kulturpolitik im Grußwort des Bürgermeisters bei Vernissagen erschöpfte: “Früher gab es eine offene Politik. Da konnte man leben und leben lassen. Heute ist das alles einseitig ausgerichtet.” Sein Künstlerkreis sagte vorsorglich die Weihnachtsausstellung 1992 im Rathaus ab. Kollege Wagner, Genosse seit 23 Jahren, gab nach der ersten von zwei SPD-Versammlungen zu dem Wandbild sein Parteibuch zurück.

In der vergangenen Woche kapitulierte Richard Weilmünster nun mit einer persönlichen Erklärung in der Stadtverordnetenversammlung vor so viel Widerstand: “Den allgemeinen Unmut der Bevölkerung gegen dieses Projekt habe ich unterschätzt.” Er nahm Abschied von seiner Idee, mit dem Wandbild aus der Spenden-Einbahnstraße Dietzenbach-Masaya einen lebendigen Dialog zwischen hüben und drüben zu entwickeln: “Mir ging es um mehr, als nur unsere Position als Gönner bestätigen zu lassen.”

In der Niederlage erkannte der Stadtrat aber noch einen Funken Hoffnung. Vielfach habe sich, so sinnierte er, der Protest nicht gegen das Bild als solches, sondern gegen die Rathauswand als Malfläche gewandt. Damit hätten sich die Dietzenbacher erstmals in sechzehn Jahren mit dem Rathaus auf der grünen Wiese, dem Symbol einer umstrittenen städtebaulichen Entwicklung, identifiziert.

Für die nächste Parlamentssitzung kündigte Weilmünster “geeignete Vorschläge” der Unabhängigen Kommunisten “für andere Formen der Herangehensweise” an das Thema Kolumbus-Jubiläum an. Hartmut Blinten

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https://www.zeit.de/1992/15/der-teufel-an-der-rathauswand/komplettansicht

Oluk, Ayse

Ayse Oluk ist Diplom Wirtschaftsjuristin, L.L.M (FH)und seit 2013 Referentin bei der Beauftragten der Hessischen Landesregierung fürMenschen mit Behinderungen. Zuvor war sie als wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl „Sozialrecht der Rehabilitation und der Recht behinderter Menschen” von Herrn Prof. Dr. Felix Welti an der Universität Kassel tätig. Seit 2011 ist sie aktiv als Autorin für das Online-Diskussionsforum „Rehabilitations- und Teilhaberecht” mit dem Schwerpunkt: Arbeits- und Sozialrecht.

Als Sie in Dietzenbach gelebt hat war Sie unter anderem in folgenden Bereichen aktiv:

  • Nachhilfelehrerin der VHS Dietzenbach
  • Mitglied im Ausländerbeirat

Aus der Offenbach Post vom 27.01.2010:
Aktion „Stärken vor Ort“ bietet Beratung für behinderte Migranten
Zuhören und Mut machen

Dietzenbach (scho) ‐ „Nicht unterkriegen lassen!“ Diese Botschaft mussten Ayse Oluk und Elif Dündar in den vergangenen Wochen so manchem Klienten mit auf den Weg geben.

Drei Monate lang haben die beiden Wirtschaftsjuristinnen offene Beratungsstunden für behinderte und chronisch kranke Menschen mit Migrationshintergrund angeboten. Das Projekt im Rahmen der Aktion „Stärken vor Ort“, ein Programm von Kreisverwaltung und Stadt mit Fördermitteln der Bundesregierung und der Europäischen Union, ist für die Ratsuchenden kostenfrei und zeigte schnell Erfolg. Etwa 20 Frauen und Männer aller Generationen fanden den Weg ins Jugendzentrum, wo die beiden Beraterinnen sonntags zu sprechen waren.

„In den meisten Fällen war es nicht mit einem einmaligen Gespräch getan“, berichtet Ayse Oluk. Im Schnitt kamen die Klienten dreimal, das Team musste recherchieren und Unterlagen zusammentragen, um die Situation zu erfassen. „Viele Leute waren völlig am Boden und ratlos, so dass wir sie erst aufbauen mussten“, erinnert sich Elif Dündar. Manche hatten eine wahre Odyssee von Ärzten zu Ämtern hinter sich und nicht selten aufgrund von Sprachschwierigkeiten noch lange nicht alles verstanden. Etwa die junge Frau, die plötzlich mit der Diagnose Multiple Sklerose fertig werden musste. Oder der ältere Mann mit Parkinson, der seine Arbeit nicht aufgeben möchte.

Schwerpunkt: Integration in den Arbeitsmarkt

Ausgestattet mit fachlichem Hintergrund arbeiteten sich die beiden Beraterinnen gemeinsam mit ihren Klienten durch Schriftverkehr mit Versorgungsamt oder Arbeitgebern, halfen bei Anträgen und Widersprüchen und stellten Kontakte her. „Wichtig war auch das Gespräch, mancher hat schon aufgeatmet bei dem Gefühl, da nimmt sich jemand Zeit und hört mir zu“, erzählt Oluk. Schwerpunkt der Beratung war auch immer die Integration in den Arbeitsmarkt. Vor allem junge Frauen mit Handicap nutzten das Angebot, um gemeinsam mit den Beraterinnen Bewerbungen und Lebensläufe zu schreiben und entsprechende Stellenausschreibungen zu suchen. „Dabei konnten wir auch vieles zu Weiterqualifizierung und Schulbildung erklären“, sagt Dündar.

Für Ayse Oluk, die von Kindheit an gehbehindert ist und gegen manchen Widerstand ihren Lebensweg zielstrebig bis zum aktuellen Studium „Master of law“ verfolgt hat, ist mit dem Projekt ein Traum in Erfüllung gegangen. „Ich weiß, was es heißt, behindert zu sein und will andere ermutigen, sich bloß nicht unterkriegen zu lassen.“ Gemeinsam mit Elif Dündar möchte sie nun das Angebot fortsetzen, ein entsprechender Antrag ist bereits gestellt. Eines der Ziele ist es, irgendwann eine Selbsthilfegruppe zu ermöglichen. „Betroffene sollen selbständiger und mutiger agieren können“, wünschen sich die beiden.

Hier geht es zum gesamten Artikel:
https://www.op-online.de/region/dietzenbach/zuhoeren-machen-606798.html


Aus der Offenbach Post vom 6.10.2009:
Als behinderte Migrantin hat es Ayse Oluk doppelt schwer
Anschluss an Gesellschaft und Beruf

Dietzenbach – Menschen mit Migrationshintergrund, die mit einer Behinderung leben müssen, sind oft doppelt belastet: Mangelnde Sprachkenntnisse machen es ihnen schwer, bei Institutionen und Behörden um Hilfe nachzusuchen, in der eigenen Familie fehlt ihnen nicht selten die Anerkennung als vollwertiges Mitglied. Von Barbara Scholze

Was es bedeutet, unter solchen Voraussetzungen zu einem selbstständigen Leben zu kommen, hat Ayse Oluk zumindest zum Teil selbst erfahren. Die gebürtige Türkin leidet seit Geburt an einer spastischen Gehbehinderung – was sie aber nicht daran gehindert hat, ihren Lebensweg mit Elan zu verfolgen. Die 33-Jährige hat ihr Diplom als Wirtschaftsjuristin in der Tasche und macht gerade ihren Master of Law. „Ich hatte Glück, meine Familie hat mir immer Akzeptanz, Unterstützung und Liebe entgegengebracht“, sagt sie.

Ein bisschen was von diesen Erfahrungen möchte Ayse Oluk nun weitergeben. Gemeinsam mit Elif Dündar wird sie ab kommendem Sonntag, 11. Oktober, zwölf Wochen lang Beratungsstunden für behinderte und chronisch kranke Menschen anbieten. Jeweils von 9 bis 12 Uhr können Betroffene und Angehörige im Jugendzentrum (Rodgaustraße 9) mit den beiden jungen Frauen ins Gespräch kommen. Das Projekt läuft im Rahmen der Aktion „Stärken vor Ort“, ein Programm der Kreisverwaltung mit Fördermitteln von Bundesregierung und Europäischer Union.

In den Gesprächen wird es neben Informationen zum Gesundheitswesen auch um Unterstützung beim Besuch von Ämtern und Behörden sowie um Integration in den Arbeitsmarkt gehen. „Unser Ziel ist der Anschluss an die Gesellschaft und an eine berufliche Tätigkeit – größtmögliche Selbstständigkeit eben“, sagt Oluk.


Betroffene beraten Betroffene

Die Idee für ein solches Beratungsangebot unter dem Motto „Betroffene beraten Betroffene“ hegte Ayse Oluk schon länger. „Ich habe in meiner Umgebung schwierige Situationen mit behinderten Migranten erlebt“, erzählt sie. Noch immer werde Behinderung nur schwer akzeptiert, vor allem in traditionellen islamischen Familien gelte sie als Stigma.

„Die Beeinträchtigung wird leider manchmal immer noch als Strafe Gottes angesehen“, hat die junge Frau erfahren. Oft akzeptierten die Familien das Handicap der Kinder nicht und förderten sie auch nicht. „Viele Eltern beantragen nicht einmal einen Behindertenausweis, denn dann wäre die Behinderung ja als Tatsache belegt“, weiß Oluk. Eine ganz besondere Problematik hat eine Beeinträchtigung meist für junge Frauen mit Migrationshintergrund. „Die Mädchen werden nicht als vollwertig angesehen, denn sie können nicht so einfach heiraten und haben meist keinen Beruf.“

Für die kommenden Wochen hofft Ayse Oluk nun auf zahlreiche Ratsuchende. „Wir möchten den Betroffenen gerne vermitteln, dass sie vollwertige Menschen sind und dass sie Durchhaltevermögen und Ehrgeiz haben sollen“, sagt sie. Möglichst keiner soll sich unterkriegen lassen.

Hier geht es zum vollständigen Artikel:
https://www.op-online.de/region/dietzenbach/anschluss-gesellschaft-beruf-486612.html


Aus dem Echo Online vom 29.05.2017:
Maren Müller-Erichsen und die gehbehinderte Ayse Oluk setzen sich für Menschen ein, die es im Alltag schwerer haben als die meisten

WIESBADEN – Rund jeder zehnte Hesse lebt mit einer Behinderung. Deren Teilhabe am gemeinschaftlichen Leben zu verbessern: Das ist eine Aufgabe, die das Land Maren Müller Erichsen und Ayse Oluk übertragen hat.
Frau Müller-Erichsen, gut zehn Prozent der Menschen in Hessen haben eine Behinderung. Und es werden immer mehr. Woran liegt das?

Die Zahl der Menschen mit Behinderungen steigt, obwohl beispielsweise Ungeborene mit Down-Syndrom selten das Glück haben, das Licht der Welt zu erblicken. Schon vor dem Bluttest wurden 98 Prozent der Kinder, bei denen das Down-Syndrom diagnostiziert worden ist, abgetrieben. Als Mutter eines Sohnes mit Down-Syndrom kann ich das kaum verstehen. Mit Blick auf die dennoch steigende Zahl von Menschen mit Behinderungen muss man allerdings wissen, dass die Zahl der genetisch-bedingten Behinderungen im Vergleich zu den anderen Gruppen der Menschen mit Behinderungen sehr gering ist.

Führt nicht auch die demografische Entwicklung dazu, dass es mehr Menschen mit Behinderungen gibt? Wer älter wird, wird gebrechlicher oder dement.
Grund für die Zunahme der Menschen mit Behinderungen ist mit Sicherheit, dass sie älter werden als früher gedacht. Sie erreichen fast das gleiche Lebensalter wie Menschen ohne Behinderungen. Aber auch die letztere Gruppe wird älter, oft bekommen sie eine Behinderung im Laufe ihres Lebens, beispielsweise Demenz. Zudem ist die Zahl von diagnostizierten psychischen Erkrankungen, die als Behinderung eingestuft werden, stark gestiegen.

Menschen mit Behinderungen sollen in die Gemeinschaft einbezogen werden: Das sieht eine Konvention der Vereinten Nationen vor. Wie weit sind wir in Hessen?
Wir wollen natürlich, dass alle am gemeinschaftlichen Leben teilhaben können. Da gibt es aber immer noch Barrieren, für jeden unterschiedlich. Der eine kann nicht sehen, was da geschrieben steht. Und ein Mensch, der nichts hört, bemerkt im Brandfall nicht die Rauchmeldeanlage. Inzwischen übernehmen Krankenkassen allerdings die Kosten für Rauchmelder, die von Gehörlosen wahrgenommen werden. Wenn aber ein Gehbehinderter eine Burg besichtigen will, kommt er dort nicht immer klar. Die Arbeitslosenquote bei Menschen mit Behinderungen ist – nicht nur in Hessen – mit 13,4 Prozent immer noch sehr viel höher als bei dem Rest der Bevölkerung. Viele Arbeitgeber fürchten, wenn sie Menschen mit Behinderungen einstellen, können sie ihnen nicht mehr kündigen. Das können sie allerdings – auch wenn es schwieriger ist. Insgesamt aber unternimmt das Land große Anstrengungen, etwa mit der Kampagne „Inklusion erleben“ oder mit dem „Tag der Menschen mit Behinderungen“.

Frau Oluk, Sie haben eine Gehbehinderung von Geburt an. Trotz der Beeinträchtigung haben Sie den Master als Wirtschaftsjuristin gemacht.

Ich komme aus einer türkischen Familie und wollte immer studieren. Ich hatte gehofft, Akademiker sind offen und würden mich mit meiner Behinderung akzeptieren. Ich war in einer Förderschule und habe dann meinen Haupt- und meinen Realschulabschluss gemacht, obwohl mich die Regelschule nicht aufnehmen wollte. Schließlich habe ich Fach-Abitur gemacht und an der Frankfurt University of Applied Sciences studiert. Einige Kommilitonen hatten mich gefragt, ob meine körperliche Behinderung auch geistige Auswirkungen hat. Die Frage war ernst gemeint. An der Hochschule gab es tolle Professoren, die mich unterstützt haben. Es gab aber auch jene, die meine Behinderung als Krankheit gesehen haben. Dieser Gedanke hat mich schon als Kind gestört.

Sind Sie im Job trotz ihrer Gehbehinderung voll einsatzfähig?
Ja, ich arbeite Vollzeit. Ich wäre zwar bei einem Hundert-Meter-Lauf beeinträchtigt, bin es aber nicht bei meiner Arbeit im Büro. Es gibt Menschen, die meinen, dass Menschen mit Behinderungen bevorzugt werden, etwa weil sie fünf Tage zusätzlichen Urlaub bekommen. Menschen mit Behinderungen wollen vor allem aber kein Mitleid, sondern Verständnis. Natürlich haben wir auch unsere Ängste und Hemmungen, die wir abbauen müssen.
Wir müssen einander auf Augenhöhe begegnen. Dazu braucht es Empathie und Gelassenheit auf beiden Seiten. Meine Behinderung gehört zu mir wie meine lockigen Haare. Das möchte ich rüberbringen. Denn wir möchten nicht über unsere Behinderungen, sondern – wie jeder andere Mensch auch – über unsere Persönlichkeit, Fähigkeit und Arbeit definiert werden.

Sie sind Muslima. Sie hatten einmal in einem Interview gesagt, in traditionellen, islamischen Familien gelte eine Behinderung als Stigma.

Ja, nach meiner Erfahrung kommt es in einigen Fällen vor. Schon als ich Kind war, haben Bekannte zu meinem Vater gesagt: „Du wirst Deine Tochter nie verheiraten können, was wird nur aus ihr?“ Meine Cousine in der Türkei hat das Down-Syndrom. Die Bekannten haben dann gefragt: Für was sind die Eltern bestraft worden? Dabei kommt es für Menschen mit Behinderungen darauf an, dass die Familie sie in allen Lebensbereichen fördert und partizipiert.
Es ist wichtig, dass die Beratungen für Menschen mit Behinderungen und Migrationshintergrund interkulturell angeboten werden, um diesen Personenkreis zu unterstützen, die sprachlichen, soziologischen sowie kulturellen Barrieren zu überwinden.


Das Interview führte Christoph Cuntz.

Hier es geht es zum vollständigen Artikel:
https://www.echo-online.de/politik/hessen/maren-muller-erichsen-und-die-gehbehinderte-ayse-oluk-setzen-sich-fur-menschen-ein-die-es-im-alltag-schwerer-haben-als-die-meisten_17925563

Rehs, Wolfgang

  • war in der Seniorenhilfe aktiv
  • war im Seniorenbeirat aktiv

Aus der Offenbach Post vom 20.07.2009:


Wolfgang Rehs vertritt die Interessen älterer Menschen in Landesgremium
Im Dienste der Senioren

Dietzenbach – „Ich denke, es ist kein Geheimnis, dass wir hier in Dietzenbach eine sehr, sehr gute Seniorenarbeit haben. Und das versuche ich auch, in den Vorstand einzubringen“, sagt Wolfgang Rehs. Von Nina Beck

Wie berichtet, war der 71-Jährige bei der Mitgliederversammlung der Landesseniorenvertretung Hessen (LSVH) in Langenselbold in das höchste Seniorengremium des Landes gewählt worden, als eines von insgesamt zwölf Mitgliedern.

Fünf Posten galt es zu diesem Zeitpunkt neu zu besetzen, 15 Senioren hatten sich darauf beworben, wie Rehs verrät: „Das ist sehr schwer, da reinzukommen.“ Entsprechen froh sei er, diesmal wieder dabei zu sein. Denn schon einmal gehörte Rehs dem LSVH an, arbeitete als kooptiertes Mitglied an der Landeszeitung „Senioren heute“ mit, wie er sagt.

Doch zwischenzeitlich – damals wurde alle fünf Jahre, mittlerweile alle drei Jahre gewählt – hatte er es nicht geschafft, sich in dem Gremium zu behaupten. Dass es jetzt auf die Bewerbung des Dietzenbacher Seniorenbeirats hin wieder geklappt hat, freut ihn. Vielleicht, vermutet er, kann sogar sein einstiger Beruf eine gewisse Rolle gespielt haben: „Ich bin der einzige Techniker da“, sagt der gelernte Ingenieur.

Die LSVH vertritt als Dachverband aktuell 120 Seniorenvertretungen; unlängst nun kam das neu gewählte Landesgremium zu seiner konstituierenden Sitzung in Dietzenbach zusammen. Dabei ging es unter anderem um Themen wie „Senioren auf Draht“ (Internetangebot), Wohnen im Alter, Qualifizierung von Heimbeiräten, Altenhilfe oder Europa, sowie darum, eine gemeinsame Basis für die Zusammensetzung der Seniorenbeiräte zu erarbeiten, wie Rehs erzählt. Denn die ist je nach Kommune recht unterschiedlich.

Das Dietzenbacher Gremium gehört zu den ältesten seiner Art in Hessen. Vor 33 Jahren wurde es gegründet und hat unter dem Mitwirken der Städtischen Seniorenarbeit eine herausragende Stellung eingenommen. So etwa ist der Seniorenbeirat der Kreisstadt einer von wenigen in Hessen, der Antrags- und Rederecht im Stadtparlament genießt. „Wir wissen die Politik auf unserer Seite, das ist schön“, sagt Rehs, der selbst gelegentlich verschiedene parlamentarische Ausschüsse besucht. Das Dietzenbacher Gremium setzt sich zusammen aus zehn Mitgliedern sozialer Organisationen sowie sechs frei gewählten Mitgliedern und versteht sich als parteipolitisch neutraler Ansprechpartner für die Senioren der Kreisstadt.

Auch Rehs gehört dem Seniorenbeirat, übrigens auch Gründungsmitglied des LSVH, an, seit 2002 schon. „Wenn ich gekonnt hätte, wäre ich noch früher hier eingetreten“, sagt der 71-Jährige verschmitzt. „Aber da war ich noch zu jung.“

Hier geht es zum vollständigen Artikel:
https://www.op-online.de/region/dietzenbach/dienste-senioren-416770.html

Kocks, Hermann

  • 1958–1976 Bürgermeister von Dietzenbach
  • hat den Siedlungsschwerpunkt Dietzenbach kreiert und vieles in die Wege geleitet.
  • strebte eine Einwohnerzahl von 60.000 Menschen an
  • Er begleitete den Sanierungsplan für die Altstadt und die neue baulichen Gestaltung. Beim Letzteren hat der damalige Aktionskreis „Rettet das Dorf in der Stadt“ sein Veto eingelegt und inhaltlich mitbestimmt.
  • Zur Kommunalwahl 1968 sagte er: “Wir Sozialdemokraten können uns keinen Vertrauensschwund leisten. Bei allen Diskussionen innerhalb und außerhalb der Partei müssen wir sachlich bleiben und uns der Führungsaufgabe in unserer Gemeinde würdig erweisen!”
  • 1976 unterzeichnete er die Verschwisterung mit der französischen Stadt Vélizy-Villacoublay

Deller-Henneberg, Birgit

  • Mitglied der WIR-BFD
  • 1997 bis 2007 Stadtverordnete
  • 2001 bis 2007 stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin
  • 2007 bis 2021 ehrenamtliche Stadträtin
  • verheiratet mit Roland Henneberg (1. Vorsitzender der TG Dietzenbach)
  • Tochter von Karl Deller

Ein Artikel aus der Offenbach Post vom 18.04.2017:
Birgit Deller-Henneberg hat schon den Bürgermeister vertreten

Dietzenbach – Neben den beiden hauptamtlichen Mitgliedern, Bürgermeister Jürgen Rogg und Erster Stadtrat Dieter Lang (SPD), zählt der Dietzenbacher Magistrat vier ehrenamtliche Stadträte. Eine von ihnen ist Birgit Deller-Henneberg, die für WIR-BfD in dem Gremium sitzt. Von Christian Wachter

Eigentlich, sagt Birgit Deller-Henneberg, sehe sie sich ja gar nicht als typische Politikerin. Eher als jemand, der das Beste für seine Stadt möchte. „Ich bin Dietzenbacherin von Anfang an, und wollte immer, dass auch meine Tochter hier wohnen kann.“ Das Engagement in der Verwaltung hat Tradition in der Familie. Der Großvater war langjähriger Gemeindevertreter und Erster Beigeordneter, der Vater Stadtverordnetenvorsteher und für die SPD im Parlament. Dass Deller-Henneberg, heute in der WIR-BfD, mit den Bürgern für Dietzenbach 1996 ein anderes politisches Lager wählte, führte keinesfalls zu familiärem Zwist: „Kind, das ist deine Sache, hat mein Vater gesagt“, erinnert sie sich. Den entscheidenden Impuls, sich überhaupt politisch zu engagieren, bekam sie, als kurzzeitig über eine Biogasanlage in der Kreisstadt diskutiert wurde. „Mir hat es gefallen, dass die BfD-FWG Unterschriften gesammelt und sich dagegen aufgelehnt hat.“

Zum ersten Mal in der Stadtverordnetenversammlung saß sie ab 1997, später kam noch mehr Verantwortung auf sie zu. Als die Position des Ersten Stadtrats während der Amtszeit von Ex-Bürgermeister Stefan Gieseler unbesetzt blieb, sprang Deller-Henneberg für eineinhalb Jahre als Vertreterin des Verwaltungschefs ein. Offiziell ohne eigenes Dezernat zwar, aber mit Zuständigkeit für das Bauamt.

Ein sehr gutes und von Vertrauen geprägtes Verhältnis habe sie zum Bürgermeister gehabt. „Ich habe unheimlich viel gelernt in dieser Zeit, da bin ich auch reifer geworden“, sagt die 57-Jährige. Anfangs hatte sie noch großen Respekt vor der Aufgabe. „Ich wusste ja nicht, was auf mich zukommt, hatte aber zum Beispiel mit dem Fachbereichsleiter Wolfgang Weigl eine wichtige Stütze.“

Nach ihrem Abitur hatte Deller-Henneberg eine Lehre angefangen und als Industriekauffrau bei Degussa gearbeitet. Weil das Unternehmen einen Sitz in Alabama hatte, direkt am Golf von Mexiko, hatte sie die Möglichkeit, für ein Jahr in den USA zu arbeiten. „Das war noch so ein Südstaatengefühl damals, mit dem Ku-Klux-Klan, schlimm“, erinnert sie sich. In Dietzenbach ging es da beschaulicher zu. „Ich hatte eine tolle Kindheit, ich weiß noch, wie wir mit dem Schlitten den Wingertsberg runtergefahren sind.“ Der Vater erzählte ihr Geschichten vom Ober- und vom Unterdorf.

Es sei schade, sagt Deller-Henneberg, dass diese Erinnerungen immer mehr verloren gingen. Als 1986 ihre Tochter geboren wurde, hörte sie vorerst auf zu arbeiten. „In Teilzeit habe ich damals nichts gefunden, und Vollzeit hätte für mich bedeutet, mein Kind einfach irgendwo abzuliefern.“ Neben Literatur – „zu Hause stapeln sich die Bücher“ – ist auch der Sport ein wichtiges Thema. Ihr Mann ist Vorstand Sport bei der TG und war lange sportlicher Leiter bei der HSG. Zusammen gehen sie gerne Golfen ins unterfränkische Eichenbühl. „Das ist jedes Mal wie ein Tag Urlaub“, sagt Deller-Henneberg. Donnerstags steht Yoga fest im Kalender. „Ich brauche das, um runterzukommen. Wir sind eine kleine Gruppe, kommen schon länger zusammen – so eine Beständigkeit ist mir wichtig.“

Beständigkeit, das ist auch ein Stichwort bei ihrer Arbeit im Magistrat. „Wir sind das Oberhaupt der Verwaltung, da müssen wir regelmäßig schauen, wie es den Leuten, den Mitarbeitern geht.“ Umso mehr ärgert es sie, wenn Bürger in einen Ausschuss kommen und wieder gehen, so bald ihr Anliegen abgehandelt ist. „Manche würden ihren Punkt am liebsten vorziehen, dabei betreffen andere Themen unsere Heimatstadt doch genauso.“ Unerkannt lässt es sich nach über zwanzig Jahren nur schwer durch die Stadt laufen. „Die Leute kennen einen, und da wird man schon mal angesprochen, was man denn da im Rathaus wieder gemacht habe.“

Im Magistrat, erzählt Deller-Henneberg, sei sie kein Lautsprecher, der das Rampenlicht braucht. „Ich bin aber ein Mensch der klaren Worte, und wo es angebracht ist, da sage ich auch meine Meinung.“

Hier geht es zum gesamten Artikel:
https://www.op-online.de/region/dietzenbach/dietzenbach-birgit-deller-henneberg-schon-buergermeister-vertret-8149503.html


Aus der Homepage der Stadt Dietzenbach:

Stadträtin Birgit Deller-Henneberg verabschiedet
Ehrenamtliches Engagement und Herzblut für Dietzenbach gehören zur DNA der Familien Deller und Henneberg. Besonders bei Birgit Deller-Henneberg, die seit 1997 kommunalpolitisch die heutige Kreisstadt aktiv mitgeprägt und gestaltet hat. Die damals 37-jährige Dietzenbacherin kam für die Wählergemeinschaft „Bürger für Dietzenbach“ (BfD) in die Stadtverordnetenversammlung. Zehn Jahre lang übte die auf dem Hexenberg aufgewachsene Politikerin ihr Mandat als Stadtverordnete in der Fraktion BfD-FWG, die später zur WIR-BfD wurde, aus. Von 2001 bis 2007 war sie die Stellvertretende Stadtverordnetenvorsteherin. In all den Jahren hat sie an Hunderten von Sitzungen und Abstimmungen teilgenommen.

Stellvertreterin des damaligen Bürgermeisters Stephan Gieseler
2007 wurde die Stadtverordnete Birgit Deller-Henneberg zur ehrenamtlichen Stadträtin ernannt und arbeitete von da an im Magistrat. Als Gemeindevorstand arbeitete sie bis zum Ende der letzten Wahlperiode 2021, insgesamt 14 Jahre lang. Besonders geprägt, herausgefordert und entscheidend war die Zeit zwischen September 2007 bis März 2009, als die Position des Ersten Stadtrates unbesetzt war. In der Zeit füllte Deller-Henneberg diese Lücke im Ehrenamt aus und war die Stellvertreterin des damaligen Bürgermeisters Stephan Gieseler. „Ich habe in dieser Zeit sehr viel gelernt“, resümiert sie. Es sei eine gute Zeit gewesen, mit einer guten Zusammenarbeit mit Stephan Giesler und dem Rathausteam.

Als Kommunalpolitikerin wirkte sie als Mitglied in unterschiedlichen Gremien mit, wie dem Aufsichtsrat der Stadtwerke Dietzenbach und der Wohnungsgesellschaft Dietzenbach, der Betriebskommission der Städtischen Betriebe, der Vereinskommission, der Kommission zur Entwicklung des Wohnstandortes Dietzenbach 2025, dem Ausschuss für Bürgeranliegen oder dem Präventionsrat.

Verantwortung übernehmen, auch in schwierigen Zeiten
Das Leben als Kommunalpolitikerin steckt voller Vielfalt in den Themen und schier unzähligen Vorlagen, Anträgen, Anfragen, Protokollen und vielem mehr. Die Sitzungsunterlagen der Stadtverordnetenversammlung und später auch des Magistrats umfassen nicht selten mehrere hundert Seiten, die es durchzuarbeiten galt. In vielen hundert Stunden wurden Unterlagen und Informationen analysiert, Argumente ausgetauscht, Kompromisse gesucht sowie Beschlüsse gefasst. Kurzum: Es wurde Verantwortung übernommen, auch in schwierigen Zeiten.

Dies war bei Familie Deller auch schon der Fall, als Dietzenbach noch ein Dorf war. Ihr Vater, Karl Deller, war als Sozialdemokrat zum Zeitpunkt der Stadtwerdung 1970 Stadtverordnetenvorsteher. „Gerne hätte ich die 800 Jahrfeier Dietzenbachs und vor allem das 50-jährige Stadtjubiläum im vergangenen Jahr ausgiebig gefeiert“, gibt Birgit Deller-Henneberg zu. Doch die Pandemie hat einen Strich durch die Pläne der Kreisstadt und der Kommunalpolitikerin gemacht. „Beim prägenden Entwicklungsschritt Dietzenbachs vom Dorf zur Stadt war mein Vater Vorsteher der Gemeindevertretung, somit erster Bürger der Stadt. Ich war fünfzig Jahre später ehrenamtliche Stadträtin. Das hätte meinem Vater, der 2015 im Alter von 85 Jahren verstarb, sicherlich sehr gut gefallen.“

Offizielle Verabschiedung am 8. November
In der Sitzung der Stadtverordnetenversammlung vom 08. November 2021 wurde Birgit Deller-Henneberg offiziell als ehrenamtliche Stadträtin verabschiedet. Da die WIR-BfD zur Kommunalwahl im März 2021 nicht mehr angetreten ist, sind die Sitze der Wählervereinigung leer geblieben. Bürgermeister Jürgen Rogg würdigte das langjährige Engagement: „Wir haben in den zwölf Jahren, als ich Bürgermeister war, sehr gut zusammengearbeitet. Im Magistrat haben wir uns fast wöchentlich gesehen. In hunderten von Sitzungen, gemeinsamen Wahlkämpfen und guten Diskussionen um das Beste für unsere Stadt, habe ich dich, liebe Birgit, kennen und schätzen gelernt“, sagt Rogg.

Hier geht es zum gesamten Artikel:
https://www.dietzenbach.de/index.phtml?&object=tx%7C1799.1.1&ModID=7&FID=1799.30367.1


Siedentopf, Dr. Dörte

  • Ärztin im Ruhestand
  • Mitgründerin Arbeitskreis Aktives Gedenken in Dietzenbach
  • Spielte lange Jahre Querflöte im Ensemble Saitensprung
  • Engagiert sich bei Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, IPPNW
  • Ende 2015 Umzug nach Berlin

Dr. med. Dörte Siedentopf ist Allgemeinärztin und Psychotherapeutin im Ruhestand und IPPNW-Gründungsmitglied. Sie arbeitet im IPPNW-Arbeitskreis Atomenergie mit. Seit 1991 organisiert sie Kindererholungsreisen aus einem verstrahlten Kreis in Belarus und war seit 1995 Vorsitzende des „Freundeskreis Kostjukovitschi e.V. Dietzenbach“. Über 800 Kinder konnten bis heute eingeladen werden, dazu über 200 Erwachsene aus allen Bevölkerungsschichten. Der Verein leistet humanitäre Hilfe und finanzielle Unterstützung und führt Bürgerreisen nach Belarus durch. Dörte Siedentopf ist Teilnehmerin auf vielen nationalen und internationalen Kongressen und hält regelmäßig Vorträge über die Folgen von Tschernobyl und Fukushima.


Interview mit der Tagesschau vom 26.04.2011:
25 Jahre nach der Reaktorkatastrophe
“Tschernobyl wütet in den Genen”

Ein Vierteljahrhundert ist die Katastrophe von Tschernobyl bereits her. Doch die Folgen der radioaktiven Strahlung nehmen zu, sagt die Ärztin Dörte Siedentopf im Interview mit tagesschau.de. Sie leistet seit 20 Jahren in Weißrussland Hilfe und engagiert sich gegen Atomkraft.tagesschau.de: Frau Siedentopf, Sie fahren seit 1990 regelmäßig in weißrussische Orte, um dort Opfern der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl zu helfen. Welche Auswirkungen gibt es dort?

Dörte Siedentopf: Über Weißrussland ist durch den Wind die größte Menge Radioaktivität niedergegangen. Unsere Partnerstadt Kostjukowitischi liegt etwa 180 Kilometer Luftlinie von Tschernobyl entfernt im Osten Weißrusslands. Der Kreis wurde zu einem Drittel verstrahlt. Von den damals 35.000 dort lebenden Menschen mussten 8000 umgesiedelt werden. Mehr als 30 Dörfer wurden abgetragen oder vergraben.

tagesschau.de: Welche Folgen sind heute noch zu spüren?
Siedentopf: Anders als bei jeder anderen Katastrophe nehmen die Folgen der radioaktiven Verstrahlung mit dem Abstand vom Ereignis zu. Das ist wie eine auf dem Kopf stehende Pyramide. In Fukushima sind wir noch unten in der Spitze. Tschernobyl ist da schon ein Stück weiter. Tschernobyl wütet in den Genen, aber auch in jeder anderen Zelle, die von Genen gesteuert wird. 25 Jahre danach ist das Problem vor allem die Niedrigstrahlung.

300 Jahre mit strahlenbedingten Krankheiten zu rechnen

tagesschau.de: Wie kommt es zur Niedrigstrahlung?
Siedentopf: Zum Beispiel durch Strontium und Cäsium, die eine Halbwertszeit von 30 Jahren haben. Man muss diese Zahl immer mit zehn multiplizieren. Solange dauert es, bis keines dieser radioaktiven Isotope mehr im biologischen Kreislauf ist. Während dieser 300 Jahre, also acht bis zehn Menschengenerationen, ist immer wieder mit der Zunahme strahlenbedingter Krankheiten zu rechnen.

tagesschau.de: Wo befinden sich die radioaktiven Substanzen?
Siedentopf: Die Radioaktivität ist in Weißrussland sicherlich längst ins Grundwasser gelangt. Es gibt dort Sumpfgebiete und sandigen Boden. Das Grundwasser steht nicht tief. Man geht davon aus, dass die Radioaktivität pro Jahr zwei Zentimeter in den Boden wandert. Dann sind wir jetzt bei 50 Zentimetern. Die Radioaktivität gelangt über das Wasser in die Pflanzen und Tiere. Auf einem sandigen Acker kann man mit einem Geigerzähler nichts mehr messen. Im Wald dagegen dringt die Radioaktivität durch das Laub und das Moos nicht hindurch. Sie bleibt an der Oberfläche. In einem Laubgebiet oder am Rande eines Waldes tickt der Geigerzähler noch, oder auch in Vertiefungen, wo sich Regenwasser sammelt.

Bestechungsgeld für die Zulassung von Medikamenten in Weißrussland

tagesschau.de: Welche Hilfe haben Sie geleistet?
Siedentopf: In den ersten zehn Jahren haben wir zum Beispiel Grundsubstanzen mitgebracht, aus denen in der Apotheke Augen- und Ohrentropfen oder auch Zäpfchen hergestellt wurden. Seit zehn Jahren ist dies nicht mehr erlaubt. Seitdem müssen die Apotheken herausgeben, was zentral eingekauft und zugeteilt wird.

tagesschau.de: Funktioniert diese zentral gesteuerte Zuteilung von Medikamenten?
Siedentopf: Die funktioniert im Großen und Ganzen. Es gibt aber Engpässe bei speziellen Dingen. Welche Mittel zugelassen werden, hängt oft vom Bestechungsgeld ab, das die Firma zahlt, die das Medikament registrieren lassen will. Ein Problem ist zum Beispiel, dass es nur zwei vom Staat zugelassene Sorten Insulin gibt. Kinder brauchen aber oft eine andere Form Insulin. Diabetes ist eine Krankheit, die nach Tschernobyl bei Kindern deutlich zugenommen hat. Schon Neugeborene haben manchmal Diabetes. Da leisten wir im Einzelfall Hilfe. Diabetes, Gehirnerkrankungen, Herzinfarkte

tagesschau.de: Wie kommt es, dass Diabetes bei Kindern häufiger auftritt?
Siedentopf: Das ist vor allem mit dem Cäsium und der damit verbundenen Niedrigstrahlung zu erklären. Es befindet sich in der Nahrungskette und gelangt so in den Darm von Schwangeren. Die Bauchspeicheldrüse der Kinder in der Gebärmutter wird so in der Entwicklung gestört. Die aber produziert das Insulin und gehört zu den sensibelsten Organen des Menschen.

Kinder haben bis zum dritten Lebensjahr kein Immunsystem, das Schäden repariert, und sie haben anders als Erwachsene eine hohe Zellteilungsrate. Die Zellteilung ist immer der kritische Moment, in dem die Strahlung störend wirkt. Deshalb werden Kinder schon durch minimale Dosen in ihrer Entwicklung gestört.

tagesschau.de: Welche Auswirkungen erleben Sie noch durch die verbliebene Strahlung?
Siedentopf: Man sagt zum Beispiel oft, die Menschen in der Gegend um Tschernobyl seien nervös und hätten die berühmte Tschernobyl-Phobie. Deswegen könnten sie sich nicht konzentrieren. Dies geht aber auf ganz diffuse Störungen im Gehirn zurück. Das Gehirn gehört nach der Geburt zu den Organen, dessen Zellen sich am häufigsten teilen.In der ersten Generation nach Tschernobyl sind Ehepaare zu 30 Prozent ungewollt kinderlos. In Deutschland sind es zehn Prozent. Durch die Schädigung des Erbguts kommt es zu einer Zunahme an Frühaborten und Frühgeburten, die zum Tode führen, weil die Kinder nicht lebensfähig sind. Was die Kinder überleben, wenn sie nicht schon im Embryonalstadium sterben, vererben sie weiter.

“Die Atomlobby und ein Diktator passen gut zusammen”

tagesschau.de: Es gibt verschiedene Angaben über die Zahlen der Opfer, wie erklären Sie sich das?
Siedentopf: Eine für die Statistik verantwortliche Frau erzählte mir, sie bekomme Vorgaben aus der Bezirksstadt. Es werde geschrieben, was die Vorgesetzten hören wollten, denn niemand wolle seine Prämie verlieren. Im Jahr 2010 gab es in der Statistik fast keine Krebstoten mehr. Alle nicht mehr jungen Menschen sterben offiziell an Altersschwäche. Auch ein an Krebs erkrankter Mensch kann an etwas anderem sterben. Deswegen ist der Statistik in autoritären Ländern wie Weißrussland, aber auch in der Ukraine nicht zu trauen. Je häufiger die Krankheiten auf andere Ursachen zurückgeführt werden, umso billiger ist es für das Gesundheitssystem. Die Atomlobby und ein Diktator passen gut zusammen. Beiden ist es nur recht, dass Tschernobyl historisiert wird. Die Menschen dort aber sagen, Tschernobyl ist unser Leben.

tagesschau.de: Welche Rolle spielen Weltgesundheitsorganisation WHO und die Internationale Atomenergiebehörde IAEA?
Siedentopf: Dass wir nicht aufgeklärt werden über viele Dinge, liegt an einem unsäglichen Vertrag zwischen der WHO und der IAEA von 1959. Die IAEA bestimmt, was die WHO zum Thema gesundheitliche Folgen radioaktiver Strahlung untersuchen und veröffentlichen darf. Viele Konferenzen haben nicht stattgefunden und Studien russischer, weißrussischer und ukrainischer Wissenschaftler zur Frage der Niedrigstrahlung sind nicht publiziert worden. Diese hat dankenswerter Weise 2009 die “New York Academy of Science” veröffentlicht.

“Fukushima ist viel schlimmer”

tagesschau.de: Wie schätzen Sie die Lage in Fukushima ein?
Siedentopf: Ich denke, die Lage dort ist viel schlimmer, weil kein Ende abzusehen ist und es auch um das hochgiftige Plutonium geht. Wir haben überhaupt keine Vorstellung, wie viel Radioaktivität ins Meer gelangt ist und wo sie hinströmt. Auch ist die Bevölkerungsdichte nicht mit dem ländlichen Weißrussland zu vergleichen. Hinzu kommt, dass das Trinkwasser in den Bergen gewonnen wird. Die Berge verhindern, dass sich die Wolken verteilen. Die Radioaktivität bleibt praktisch dort an diesem schmalen Küstenstreifen. Die Pläne, dass die Schäden in neun Monaten beseitigt sein sollen, sind völlig absurd. Das sind reine Worthülsen.

Das Interview führte Silvia Stöber, tagesschau.de

Hier geht es zum gesamten Interview:
https://www.tagesschau.de/ausland/tschernobyl134.html


Ein Artikel aus der TAZ vom 26. 12. 2011:

Ärztin mit sozialer Verantwortung:
Der heiße Stein

Die Ärztin Dörte Siedentopf organisiert seit 20 Jahren Erholungsaufenthalte für Tschernobyl-Kinder. Sie ist fassungslos über den Umgang mit Fukushima.

Dr. med. Dörte Siedentopf, geboren 1942 in Oldenburg, daselbst Schulbesuch und Abitur, ab 1961 Studium der Humanmedizin in Würzburg, Berlin, Göttingen. 1966 Examen, Promotion 1968. 1967 Heirat, zwei Kinder, ab 1970 dann im hessischen Dietzenbach tätig als niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin und Psychotherapie in Gemeinschaftspraxis. Seit 2003 im Ruhestand.

Sie ist (seit der Gründung 1981) Mitglied im IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzte in sozialer Verantwortung). Sie initiierte die Verlegung von “Stolpersteinen” in Dietzenbach und gründete Anfang der 90er Jahre den “Freundeskreis Kostjukovitschi e. V. Dietzenbach, der u. a. zweimal jährlich Hilfstransporte nach Weißrussland schickt, mit medizinischem Gerät, Kleidung, Fahrrädern, Nähmaschinen, Computern usw.

Seit 20 Jahren werden für Tschernobyl-Kinder Erholungsaufenthalte in Deutschland organisiert. Gastfreundliche Dietzenbacher Familien nehmen jeden Sommer weißrussische Kinder auf. Der Freundeskreis hat inzwischen zahlreiche Mitglieder und viele Freundschaften in Kostjukovitschi geschlossen. Eine Reihe von tatkräftigen Helferinnen und Helfern des Freundeskreises kümmert sich um alles, auch um das Einsammeln von Geld- und Sachspenden. Seit 2009, zum 23. Jahrestag von Tschernobyl, besteht eine Städtepartnerschaft. Frau Dr. Siedentopf ist verheiratet mit einem Mediziner, auch beide Kinder haben Medizin studiert. Ihr Vater war Landarzt, ihre Mutter Hausfrau und Lehrerin..

Frau Dr. Siedentopf empfängt uns in ihrer kleinen Berliner Dachwohnung Anfang Dezember in Pankow am Bürgerpark. Bei Tee und Keksen erzählt sie uns von ihren Hilfsaktivitäten und Erfahrungen.

“Das Schlimmste ist, dass die Verantwortlichen nichts gelernt haben aus Tschernobyl. Ich bin fassungslos über den Umgang mit der Reaktorkatastrophe in Fukushima, die ja noch umfangreicher ist als die von Tschernobyl. Darüber, dass die Regierung die Evakuierungszone nicht entsprechend ausgeweitet und Frauen und Kinder nicht sofort in den Süden des Landes in Sicherheit gebracht hat, kann man nur hilflose Wut empfinden. Stattdessen wird die Bevölkerung systematisch belogen, sie wird gar nicht oder falsch informiert über die wirklichen Gefahren. Das ist vollkommen unverantwortlich. Was da jetzt auf die Japaner zukommt, an Erkrankungen und Problemen, das ist unvorstellbar. Und das nehmen Politik und Atomwirtschaft wirklich alles in Kauf! Weltweit!

Am Beispiel von Tschernobyl kann man sich das Ausmaß in etwa vor Augen führen. Viele Leute denken, das ist lange her, Tschernobyl ist eine vergangene Katastrophe, über die man auf Wikipedia nachlesen kann. Aber die Menschen in den radioaktiv verseuchten Gebieten leben von 1986 bis heute mit Tschernobyl. Die Folgen lassen nicht nach. Anders als bei Naturkatastrophen, nehmen sie mit der Zeit zu statt ab – und das für die nächsten 300 Jahre, mindestens. Ich gehe nachher noch genauer darauf ein.” (Siehe dazu auch den Bericht der “Gesellschaft für Strahlenschutz ” u. IPPNW: “Gesundheitliche Folgen von Tschernobyl, 20 Jahre nach der Reaktor- Katastrophe”, Anm. G.G.)

Menschen lebten Jahrzehnte im verstrahlten Gebiet
“Vorher will ich noch kurz etwas zu den Ursachen sagen und weshalb wir uns zu einer Hilfsaktion in Weißrussland entschieden haben. Es ist so, dass der größte Teil des verstrahlten Gebietes in Weißrussland liegt. 70 Prozent der Radioaktivität ging nieder auf die damalige Sowjetrepublik Weißrussland. Ein Viertel der Landesfläche wurde verstrahlt. Etwa 15 Kilometer vom Reaktor entfernt ist die weißrussische Grenze.

Und als der Wind die Wolke dann Richtung Moskau bewegte, da hat man zusätzlich noch schnell künstlich abregnen lassen, mit Silberjodit. Natürlich ohne die Bevölkerung zu informieren. Anfang Mai, bei wunderschönem Wetter, kam plötzlich ein klebriger, gelber Regen runter, erzählen die Leute. Man hat die Bevölkerung jahrelang im Unklaren gelassen, es gab nur Umsiedelungen, Anordnungen, Beschwichtigungen. Dosimeter waren strengstens verboten.

Besonders betroffen waren die Gebiete Gomel und Mogiljow. Im Mogiljower Gebiet liegt auch das Städtchen Kostjukovitschi, in das ich seit 20 Jahren fahre. Diese beiden Gebiete wurden großflächig verstrahlt und etwa eine Million Menschen mussten umgesiedelt werden, dazu musste man erst mal in den Großstädten und Bezirken Häuser bauen. Um Minsk herum ist eine riesige Stadt gebaut worden. Viele Leute lebten zehn Jahre auf den verstrahlten Gebieten, bis sie neue Wohnungen beziehen konnten, und viele leben immer noch auf kontaminiertem Boden und treiben Landwirtschaft.

Für alles muss ja, seit dem Untergang der Sowjetunion, der weißrussische Staat aufkommen. Allein in ,unserem’ Kreis sind 8.000 Menschen umgesiedelt worden. 26 Dörfer wurden abgetragen und eingegraben. Viele Dörfer in den verstrahlten Gebieten stehen leer, in einige sind alte Leute zurückgekehrt oder auch Kriegsveteranen aus Tschetschenien oder Afghanistan, die nicht in der Stadt leben können.

Vergleichbares gibt es in der Sperrzone um Tschernobyl herum. Menschen leben in den alten Dörfern, ohne Strom, ohne Leitungswasser und versorgen sich selbst, so gut sie können. Dort ist überall sandiger Boden, wie in Berlin – die Birken gehen von hier bis nach Moskau. Das Grundwasser ist sehr niedrig, d. h., wenn die Radioaktivität 2 Zentimeter pro Jahr in den sandigen Boden sinkt, dann ist die also jetzt bei 50 Zentimeter angekommen und nicht mehr weit entfernt vom Grundwasser.

Die Hälfte des Haushalts
Es hat also gewaltige Umwälzungen gegeben dort. Die Kosten für Weißrussland, auch die gesundheitlichen, waren immens. Die ganzen Erdarbeiten, die in den zehn, fünfzehn Jahren nach Tschernobyl gemacht worden sind, die Dekontaminierung der Schulhöfe, die ganzen Abtragungen – was weiß ich, wohin sie das gebracht haben. Also das alles hat der Staat Belarus bezahlt. Ich glaube, die Hälfte seines Haushalts ist in die Beseitigung von Tschernobyl-Folgen geflossen.

Und eines Tages konnte und wollte man die vergleichsweise großzügigen Regelungen aus sowjetischen Zeiten nicht weiterhin erfüllen. Deshalb hat Präsident Lukaschenko Tschernobyl quasi als überwunden erklärt, als museales Ereignis. Es gehen von den ehemals verstrahlten weißrussischen Gebieten keine Gefahren mehr aus, wurde offiziell erklärt.

Bis 20 Jahre nach der Katastrophe hatte es immer noch Vergünstigungen gegeben, es wurde ein sogenanntes Sarggeld bezahlt, an Leute, die als Liquidatoren ihren Ausweis hatten. Aber auch Leute, die umgesiedelt wurden, hatten einen Anspruch. Diese Zahlungen wurden weitgehend eingestellt. Es war nicht viel Geld, aber dazu kam noch kostenfreie medizinische Versorgung, die jetzt auch abgeschafft wurde. Und die Anerkennung bestimmter Krankheiten, als Folge von Tschernobyl, ist auch nicht mehr selbstverständlich.

Fast eine Million ,Aufräumarbeiter’ – meist junge Männer – wurden in Tschernobyl und Umgebung eingesetzt. Ein großer Teil von ihnen kam aus Weißrussland. Heute sind die meisten Liquidatoren invalide, haben Lungen- und Schilddrüsenkrebs, Herz-Kreislauf-Krankheiten, Erkrankungen der Nieren, des Magen-Darm-Bereichs, Leukämie und auch psychische Erkrankungen. Etwa 100.000 sind bislang gestorben, im Alter zwischen 40 und 50 Jahren. Viele begingen Selbstmord. Und da wurde einfach gesagt, Tschernobyl ist vorbei. Es hat Proteste gegeben in Minsk. Und gerade jetzt ist in Kiew wieder protestiert worden, mit einem Hungerstreik der Liquidatoren, gegen die krassen Einschnitte, die auch die Ukraine an Renten und Vergünstigungen vorgenommen hat.

In den Dörfern sind die Kosten niedriger
In Weißrussland war zum Beispiel für Betroffene der Kindergarten kostenlos, das Schulessen war kostenlos, die Kinder bekamen auch besondere Vitamine, und Kuren – die bekommen sie zwar jetzt auch noch, einmal pro Jahr, aber ansonsten wurde alles zurückgefahren. Auch das vitaminreiche Essen für die Schulen und Kindergärten. Also der Ausweis, den sie alle haben, den haben sie uns gezeigt, aber der gilt eigentlich nicht mehr. Alle ehemaligen Ansprüche sind gestrichen.

Wenn man ohnehin nur wenig hat und auch noch krank ist, dann wirken sich die Streichungen und Kürzungen sehr empfindlich aus. Jetzt gerade haben sie wieder – wie jedes Jahr – die kommunalen Abgaben erhöht, also Wasser und Wärme. Und die Wärme für die Stadt, für die großen Häuser und Blocks, die läuft im Winter in unisolierten Rohren über das Feld, da geht schon jede Menge verloren, was ja auch bezahlt werden muss. Deswegen leben auch viele Leute lieber in den Dörfern, dort können sie ihre Kosten reduzieren.

Die hohe Staatsverschuldung, die alle Menschen einschränkt und bedrückt, ist sicher einerseits durch Tschernobyl bedingt, aber auch durch massive Misswirtschaft. Es gibt eine Hyperinflation in Belarus, momentan sind das etwa 113 Prozent. Der Durchschnittsverdienst liegt bei 150 bis300 Euro im Monat. Arbeiten im Ausland ist nicht erlaubt.

Keinerlei Opposition wird geduldet
Die Grenzen zu den neuen EU-Mitgliedstaaten Polen, Lettland, Litauen sind dicht für Weißrussen. Aber es ist nicht nur das Geld, der drohende Staatsbankrott, es gibt auch eine ungeheure Unfähigkeit, wirklich in 20 Jahren irgendwas an Staat überhaupt aufzubauen, an Demokratie. Keinerlei Opposition wird geduldet. Dennoch kommt es zu Protestdemonstrationen. So auch gegen den ungeheuerlichen Beschluss, ein AKW zu bauen.

Weißrussland hat kein AKW. Aber unmittelbar nach Fukushima hat Lukaschenko gesagt, er will jetzt eins bauen, mit russischer Hilfe, in Ostrowez, 20 km von der litauischen Grenze entfernt. Der Vertrag wurde inzwischen von Lukaschenko und Putin besiegelt. Es wird mehr als 5 Milliarden Euro kosten, wurde gesagt, das AKW soll modern und vollkommen sicher sein, saubere und preiswerte Energie liefern und Arbeitsplätze schaffen, all diese Propagandageschichten. Da ist die Atomindustrie in Ost und West gleich.

Also das sind so andeutungsweise die äußeren Bedingungen. Vieles kenne ich aus eigener Anschauung. Angefangen hat das so: Wir haben damals, 1990 – nach Glasnost und Perestroika – an einer Gruppenreise nach Minsk für Versöhnung und Völkerverständigung teilgenommen. Veranstalter war ein kirchlicher ,Arbeitskreis Frieden’ in Bonn/Bad Godesberg.”

(Die Republik Weißrussland hatte am meisten unter dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion zu leiden, unter den Gräueltaten von Militär und Sondereinsatzgruppen. Nach drei Jahren Besetzung war das Land verwüstet und ausgeraubt, es verlor viele Einwohner, und fast die gesamte jüdische Bevölkerung war ermordet. In der Nähe von Minsk errichteten die Deutschen das größte Vernichtungslager auf sowjetischem Boden. Anm. G.G.)

“Das hat mich auch deswegen interessiert, weil mein Vater lange Jahre… es gibt Briefe aus Brest. Festung Brest. Es gibt Bilder…, auch im Lazarett. Das war eben, wie heißt das? Heeresgruppe Mitte, eines der Lazarette, die sie da hatten. Briefe und Bilder… und wie er da so… Irgendwie dachte ich immer, ich muss das mal sehen. Wir haben natürlich nie mit ihm über all diese Dinge geredet. Und 1963 ist er dann gestorben, an einer bösartigen Erkrankung auch. Ich weiß nur noch, meine Mutter kolportierte, dass er mal gesagt hat: ,Wenn wir den Krieg verlieren, dann gnade uns Gott!'”

Die Kinder mit den Narben
Frau Dr. Siedentopf hat sich wieder gefangen und erzählt weiter: “Wir haben alles angeschaut, auch das ehemalige Getto. Und eher zufällig haben wir fünf Ärzte aus der Gruppe dann auch eine Klinik besucht, außerhalb von Minsk. Da erholten sich Kinder, die behandelt wurden nach Schilddrüsenkrebs. Das waren die ersten Opfer, die wir sahen, in einem ehemaligen Erholungsheim für Funktionäre. Alle Kinder waren blass und mit einer roten Narbe am Hals.

Da ist uns das erst klar geworden, dass Tschernobyl nicht vorbei ist. Eine Ärztin sagte uns dann, dass ihnen eigentlich nicht so sehr Versöhnung und Völkerverständigung helfen könnten, sondern dass sie konkrete medizinische Hilfe brauchen. Wenn wir helfen möchten, sollen wir in die Provinz gehen, die großen Kliniken in Minsk seien schon relativ gut versorgt. Da war die Frankfurter Uniklinik engagiert. Und wir bekamen eine Anschrift und sagten, wir überlegen das mal. Und bald darauf sind wir dann zu zweit nach Kostjukovitschi gefahren. Das liegt etwa 180 Kilometer Luftlinie von Tschernobyl entfernt, im Osten Weißrusslands.

Meine Stadt Dietzenbach hat 35.000 Einwohner, etwa so viele wie Kostjukovitschi. Wir besuchten dort den Chefarzt in einem alten Krankenhaus von 1905, es war unglaublich, Baracken, so im Gelände verteilt, ohne irgendwas. Er zeigte uns alles, und wir lernten dann auch die hochschwangere Apothekerin Larissa kennen, die bis heute unsere zuverlässige Verbindungsfrau und auch Freundin ist. Sie zeigte uns ihre Apotheke, die ebenfalls sehr schlecht ausgerüstet war. Es fehlte an Verbandsmitteln, an Verbrauchsmaterial. Für Kinder, hieß es, gibt es keine Zäpfchen. Sie konnte auch keine selbst herstellen, denn es fehlte die Rohsubstanz Kakaobutter.

Und warum macht ihr keine Augen- und Ohrentropfen? Es gibt keine Pipettenfläschchen, erklärte sie. Und da begann dann unser Projekt erst mal mit der medizinischen Hilfe. Es ging um die Folgekrankheiten von Tschernobyl, darum, da irgendwie behilflich zu sein. Und mit diesen Menschen, dem Chefarzt, der Apothekerin und noch einer Kinderärztin, haben wir dann eigentlich zehn Jahre lang ein sehr intensives medizinisches Projekt gehabt.

Wir haben für das Apothekenprojekt geschickt – oder gebracht -, was an Substanzen benötigt wurde. Sie haben es dort selbst verarbeitet. Die Kinderzäpfchen wurden dann kostenlos oder ganz billig abgegeben. Eine wichtige Hilfe waren auch gynäkologische Präparate, Frauenzäpfchen. Nach zehn Jahren war das dann nicht mehr möglich, weil die Medikamentenzuteilung zentralisiert wurde, die Apotheken waren nur noch Verkaufsstellen und durften nichts mehr selbst herstellen.

Zu dieser Anfangszeit hatte das auch schon angefangen, dass Kinder eingeladen wurden nach Deutschland. 1990 waren die ersten Kinder in der DDR eingeladen zu Erholungsaufenthalten. Die konnten dort ja auch Russisch und hatten schon Kontakte. 1991 fing es dann auch bei uns an. Unsere Stadt hat gesagt, sie wird die Finanzierung von 50 Kindern aus der Tschernobyl-Gegend übernehmen für einen Urlaub im Taunus. Aber ich sagte, sie sollen doch Kinder aus Kostjukovitschi nehmen und auch unsere Familien in Dietzenbach sollen sich mit dem Thema beschäftigen.

Ich war etwa 40-mal in Weißrussland
Und so wurde es dann gemacht, wobei zwei, drei Jahre es noch die Stadt finanzierte und danach unser ,Freundeskreis Kostjukovitschi e. V.’, der sich dann auch juristisch gegründet hat, damit wir die Spendengelder richtig abrechnen konnten. Die Familien und die Kinder haben sich trotz Sprachschwierigkeiten und Fremdseins sehr schnell miteinander angefreundet. Viele dieser Freundschaften haben sich erhalten über die Jahre. Bis heute waren mehr als 900 Kinder und 250 Erwachsene in Dietzenbach unsere Gäste. Viele freundschaftliche Gegenbesuche haben stattgefunden. Und ich bin seitdem etwa 40-mal in Weißrussland gewesen.

Vom ersten Jahr an eigentlich haben wir immer auch – neben der medizinischen Hilfe – fehlende Gegenstände für das Alltagsleben in dieser Mangelgesellschaft gesammelt. Erst in meiner Praxis, später bekamen wir dann eigene Räume. Es wurden Pakete geschickt, es fahren zweimal jährlich Transporte mit Lastwagen, wir sammelten alles, Kleidung, Fahrräder, Nähmaschinen, Spielzeug, Musikinstrumente, Computer, Sportgeräte usw. Wir hörten uns auch dort um, was so gebraucht wird, eine Kunstschule wünschte sich einen Brennofen.

Ein Altenheim auf dem Dorf brauchte alles: Betten, Matratzen, Bettzeug, Kleidung, Teppiche, Möbel, Geschirr usw. Da waren wir sehr engagiert, es gab auch eine Einrichtung für das Kabinett des Arztes, der da ab und zu hinkommt, Liege, Apparate. Oder auch für Kinderärzte haben wir Stethoskope und Ohrspiegel geschickt, an denen es fehlte, oder Spekula, mit denen man in die Nase guckt, solche Dinge. Ach ja, auch kleine Spiegel, mit denen man in den Kehlkopf guckt, schickten wir. Die sind aber immer nach einem Jahr schon blind geworden, und wir haben gefragt, was sie denn damit machen. Die wurden sterilisiert in der allgemeinen Sterilisation, die die Spiegel kaputt machte. Dann haben wir einen eigenen kleinen Sterilisator besorgt, und ab da lief es dann.

Ein anderes Projekt sind Kindergärten. Wir gingen in die Dörfer und haben gesehen, dass sie nichts haben an pädagogischem Einrichtungsmaterial. Nicht mal Bauklötzchen oder Puppenwagen. Mit dem nächsten Transport haben wir dann so eine Grundausstattung geschickt. Und als ich mal wiederkam, im Winter, da waren nur noch drei Kinder da. Und man erklärte mir, nein, die sind nicht krank, die Eltern können das nicht bezahlen, wir sind zwar ein Umsiedlungsdorf, aber die Hilfen wurden gestrichen.

Und im Winter haben die Eltern keine Arbeit auf der Kolchose, da behalten sie die Kinder zu Hause. So haben wir dann die Kosten übernommen, und es kamen noch viele andere Kindergärten dazu. Der kleinste, den wir zurzeit finanzieren, das ist einer mit fünf Kindern. Sie leben in einem Ort, wo es nichts mehr gibt. Kolchose ist nicht mehr da, Schule ist weg, nur noch den Kindergarten gibt es. Und ganz wichtig für Kindergartenkinder ist, es gibt dort mehrere Mahlzeiten, vitaminreiches, gesundes Essen.

Nun will ich zum Gesundheitszustand kommen, über den man wohlweislich hier nichts zu hören bekommt. Es ist wichtig, dass man sich mal klarmacht: Mit dem Abstand zum Ereignis werden die Folgen für die Menschen und das biologische Leben immer katastrophaler. Das wollen unsere Regierungen und Medien genauso wenig sehen wie Lukaschenko, der das Ereignis per Beschluss für MUSEAL erklärt.

Die versteckten Mütter
Nach Tschernobyl gab es verschiedene katastrophale Wellen. Die erste betraf einerseits Erwachsene: Liquidatoren, Ärzte, Leute, die in die verstrahlten Dörfer gingen, und die Bevölkerung dort auch. Da sind viele recht bald an Krebs gestorben. Und andererseits waren dann gleich die Kinder betroffen. In dieser Gegen Weißrusslands herrscht Jodmangel – sie haben ja keine Küste wie die Japaner zum Glück -, und so wurde das radioaktive Jod massiv aufgenommen von der kindlichen Schilddrüse. Es hat eine kurze Halbwertzeit, also das ist in den ersten zehn Tagen aufgenommen worden.

Man hat nach Tschernobyl versucht, bei allen betroffenen Schwangeren abzutreiben. Die Mütter haben sich aber zum Teil versteckt. Und direkt in dem Jahr danach gab es auch bei diesen Kindern Schilddrüsenkrebs. Eine Krankheit, die es vor Tschernobyl bei Kindern gar nicht gab. 4.000 Schilddrüsenkrebsfälle bei Kindern in Weißrussland sind offiziell bestätigt, die sind operiert, die sind nachbestrahlt, die müssen lebenslang Hormone nehmen, sonst werden sie zu Kretins. Aber das müssten sie eigentlich kostenlos kriegen, auch heute, 25 Jahre danach noch, und auch im Falle der später aufgetretenen Funktionsstörungen.

Wir haben jetzt bei der nächsten Generation vermehrt auftretende Bluterkrankungen. Wir sagen: TSCHERNOBYL WÜTET IN DEN GENEN. Und das ist die nächsten 300 Jahre so, weil Strontium und Caesium eine Halbwertzeit von 30 Jahren haben und das mit 10 multipliziert. Das ist die Faustregel. Sieben bis acht Generationen, mindestens. Ganz zu schweigen vom Plutonium, das eine Halbwertzeit von 24.000 Jahren hat. Ein Problem ist Diabetes, bei Kindern und Erwachsenen. Besonders bei Neugeborenen. Das gab es früher auch nicht.

Und es ist so, dass der Staat zwei Sorten Insulin einkauft, und damit müssen alle klarkommen. Kinder brauchen aber mindestens noch eine dritte Sorte, und die gibt es nicht, außer es kümmern sich NGOs darum. Die betreiben auch die fehlende Aufklärung. Ein anderes Problem sind Augenstörungen bei Kindern, Linsentrübungen. Und es gab eine Zunahme von Brustkrebs bei Frauen, viele starben innerhalb von fünf Jahren. Könnte es sein, dass strahleninduzierter Krebs viel bösartiger ist als ein Alltagskrebs, der sich entwickelt?

Die Zahl der Missbildungen ist gestiegen. Abtreibung ist ein großes Thema. Schwangerschaftsverhütung kostet Geld, das kann sich kaum jemand leisten. Das ist ein großes Problem. Und es gibt andererseits das Problem der unfruchtbaren Paare. In Kostjukovitschi gibt es 30 Prozent ungewollt sterile Ehen. Eine andere Geschichte ist die Zunahme bösartiger Tumore, die 6-, 7-, 8-, 9-jährige Kinder jetzt entwickeln. Hirntumore, Knochentumore.

Ein weiteres großes Problem: In den verstrahlten Gebieten heilten Wunden nicht mehr, es war dramatisch. Der Grund ist eine Immunschwäche, weil das radioaktive Strontium sich in den Knochen einbaut und da bleibt. Und im Knochen wird das Blut gebildet, es wird ständig bestrahlt! Es ist dann wie bei Aids, dass Impfungen nicht angehen, weil keine Antikörper mehr gebildet werden. Also auch Zunahme von Polio, trotz Impfungen. Und es gibt eine Zunahme von Tuberkulose, weil auch da die Impfungen nicht mehr angehen und die Leute einfach auch keine gute Ernährung haben. Zudem haben viele ihr Gemüse mit Regenwasser gegossen und sie sammeln im Herbst Pilze und Beeren, die immer noch hochkontaminiert sind.

Geschädigte Zellen
Die Vielzahl der behinderten Kinder, mit geistigen und körperlichen Beschädigungen, ist eine direkte Folge der Strahlenbelastung. Man muss sich das mal klarmachen, dass bei den Frauen ja die Eierstöcke bereits in ihrem Embryonalstadium angelegt sind, eine große Menge von Zellen entwickeln sich zu Eierfollikeln, 8 Millionen. Und alle Schädigungen der Mutter kriegen diese Zellen ab. Die Placenta hat eine Schutzschranke, und ausgerechnet da kann sich die Radioaktivität sozusagen konzentrieren. Die beschädigten Eier können nicht repariert werden. 1 bis 2 Millionen sind es bei der Geburt. In der Pubertät noch etwa 400.000. Und die können dann bereits im Mutterleib beschädigt worden sein mit den entsprechenden Folgen bei einer Schwangerschaft.

Und noch etwas ist sehr wichtig zu wissen: Was die genetischen Schäden angeht und die Krebshäufigkeit usw., das sind alles Folgen von NIEDRIGSTRAHLUNG, und das ist etwas anderes als die Strahlenkrankheit der Liquidatoren. Etwas, das permanent von den Verantwortlichen geleugnet wird.

Die Schädigung der Organe durch inkorporierte künstliche Radionuklide, daran sind die kurzwelligen Strahlen schuld. Bei Zellschädigung durch Radioaktivität hat die Zelle vier Möglichkeiten. 1.: Die Zelle stirbt sofort ab. 2.: Die Funktion der Zelle wird zerstört. 3.: Die Zelle entartet und es entwickelt sich Krebs. 4.: Die Zelle kann sich reparieren. Das können aber nur erwachsene Zellen. Embryonen haben gar keine Reparaturmechanismen, auch Kinderzellen können das nicht. Sie sind aufs Wachsen und Teilen aus und erst allmählich kriegen sie ihren Reparaturmechanismus. Und deshalb sind Kinder auch so besonders gefährdet. Und aus diesen Gründen hätten alle Schwangeren und Kinder sofort aus Fukushima weggebracht werden müssen!

Die Atomwirtschaft, das ist noch mal eine Dimension, die wir gar nicht einschätzen können, weil so viele wirtschaftliche Interessen, so viel Geld dahinter stecken. Was wir aber einschätzen können, ist, dass sie und ihre Lobbyisten – zu denen auch die Politik und die einschlägigen Organisationen gehören – absolut zynisch sind und entsprechend agieren. Das fängt schon an mit den Grenzwerten. Selbst in der Ukraine und in Weißrussland gelten niedrigere Grenzwerte als bei uns.

Es gibt einfach keine verbindliche unabhängige Instanz auf der Welt. Die WHO hat nur EINEN EINZIGEN Menschen, der sich mit Strahlung beschäftigt! Aber sie hat ja ohnehin nichts zu sagen. In Strahlen-Angelegenheiten hat sie einen absoluten Maulkorb. Seit dem Vertrag von 1957 ist sie der IAEO (International Atomic Energy Agency) unterstellt, und die unterdrückt jede Meldung über die reale Strahlengefahr. Wir müssen das anprangern, diese Unterstellung der WHO unter die IAEO, diesen Knebelvertrag. Der IPPNW fordert eine Kündigung dieses Abkommens! Vielleicht kann die WHO dann endlich dem Artikel eins ihrer Verfassung gerecht werden: allen Völkern zur Erreichung des bestmöglichen Gesundheitszustandes zu verhelfen.”

Der Foodwatch-Report des IPPNW (August 2011, deutsche Sektion), formuliert unmissverständlich: Die Festsetzung von Grenzwerten ist letztlich “eine Entscheidung über die tolerierte Zahl von Todesfällen”.

Hier geht es zum gesamten Artikel:
https://taz.de/Aerztin-mit-sozialer-Verantwortung/!5104614/