Meyer, Dr. phil. Klaus

  • hat ein Vierteljahrhundert in Dietzenbach in der Hessischen Jugendbildungsstätte gearbeitet
  • Engagement in der Solidaritätsarbeit für Nicaragua und Kuba
  • Vereinsaktiver beim Monimbó e.V.
  • Er setzte sich für das Wandbild aus Nicaragua (Künstlergruppe “Diriangen”) ein, was an das Rathaus gehängt werden sollte. Die politische Mehrheit verhinderte dies.

Aus der TAZ vom 21. 8. 1998:

Freiheit, die wir meinen
Vom hessischen Dietzenbach nach Berlin-Kreuzberg: Die von „rechtschaffenen“ Bürgern erzwungene Odyssee eines lateinamerikanischen Wandgemäldes  ■ Von Peter Nowak

Aus dem Urlaub zurückkehrende KreuzbergerInnen werden sich verwundert die Augen reiben. An der Häuserwand Oranienstraße Ecke Manteuffelstraße, dort wo seit den 80er Jahren politische Losungen und Wandmalereien nicht selten den Zorn von PolitikerInnen auf sich zogen, werden dann auf einem riesengroßen Gemälde Szenen aus der Geschichte des amerikanischen Subkontinents zu sehen sein.
Neben namenlosen Indigenas mit Fahnen und Spruchbändern dürfen die lateinamerikanischen Freiheitshelden der verschiedenen Epochen nicht fehlen: Simon Bolivar, Tupac Amaru, Sandino, Salvador Allende und natürlich Che Guevara. Das Bild erinnert nicht zufällig an die als Revolutionstrophäen aus dem sandinistischen Nicaragua der 80erJahre so beliebten Wandteller und Postkarten. Es wurde von vier KünstlerInnen aus der nicaraguanischen Stadt Masaya in Zeiten gemalt, als auch manche Stadtverwaltungen noch von Nicaragua libre schwärmten.

Dazu gehörte auch die rot-grün regierte hessische Kleinstadt Dietzenbach, die 1985 eine Städtepartnerschaft mit Masaya geschlossen hatte. Mehrere KünstlerInnen aus Masaya wollten ihrer deutschen Partnerstadt als Dank für die Solidarität mit Nicaragua ein Wandbild schenken. Bei der Dietzenbacher Stadtratsmehrheit stieß das Projekt auf große Zustimmung. Man wollte den KünstlerInnen zum 500. Jahrestag der „Entdeckung“ Amerikas im Jahre 1992 die Möglichkeit geben, dieses Jubiläum aus der Perspektive der „Entdeckten“ darzustellen. Das Gemälde sollte an exponierter Stelle an der Außenwandfläche des Dietzenbacher Rathauses angebracht werden. Doch dazu sollte es nicht kommen.

Mit populistischen Parolen mobilisierten die örtliche CDU und eine extra zur Verhinderung des Gemäldes gegründete rechtspopulistische WählerInnengemeinschaft „Bürger für Dietzenbach“ die schweigende Mehrheit. In Briefen an alle Dietzenbacher WählerInnen hieß es: „Keine politischen Diffamierungsversuche am Rathaus oder an einem anderen Ort. Wir Dietzenbacher haben andere Sorgen.“ Ein CDU-Stadtverordneter wollte statt des exotischen Gemäldes ein Bild über die Vertreibung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg am Rathaus anbringen lassen. Auf Druck der Opposition wurde eine BürgerInnenbefragung angesetzt, an der sich allerdings nur knapp 20 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten, von allerdings 80 Prozent gegen das Bild votierten Klaus Mayer vom Verein „Monimbo e.V.“, der sich für das Gemäldes einsetzte: „Einer ganzen Reihe von Menschen in Dietzenbach war es leichtgefallen, die meist sehr positiv geschätzte Solidaritätsarbeit mit Spenden oder städtischen Zuschüssen zu unterstützen. Daß jetzt aber Künstler aus diesem Land ihre Sicht der Welt und ihre Version der Ursachen der Armut in ihrem Land, an dem wir mitschuldig sind, darstellten, das möchte man auch als hilfsbereiter Mensch nicht hinnehmen.“ Besonders die SPD habe sich wachsweich verhalten und insgeheim von dem Bild distanziert, meint Mayer. Auch an der SPD-Basis fanden die Parolen der GegnerInnen Gehör, wie das Debakel für die SPD bei den folgenden Kommunalwahlen zeigte.

Seit 1992 tingelte der Auslöser des ganzen Streits dann als Wanderbild quer durch die Republik. Mal machte es Station auf dem evangelischen Kirchentag, dann hing es für einige Zeit an einem Jenaer Einkaufszentrum, zuletzt in der Potsdamer Innenstadt. Ab Samstag soll es nun in Kreuzberg einen festen Platz bekommen. Mit Widerstand gegen das Gemälde ist dort nicht zu rechnen. Eher bestünde die Gefahr, daß es im bunten Kreuzberger Flair nicht richtig wahrgenommen wird, befürchtet ein Berliner Mitorganisator. Die Enthüllung und Präsentation wird mit einem Straßenfest begangen. Die Aktion läuft im Rahmen der bundesweiten „Karawane für die Rechte von Flüchtlingen und MigrantInnen“.

Hier geht es zum gesamten Artikel:
https://taz.de/Freiheit-die-wir-meinen/!1329387/


Aus der Zeit vom 3.4.1992:

Der Teufel an der Rathauswand
Ein Held, ein Schuft und ein umstrittenes Kunstwerk
Von Hartmut Blinten

Dietzenbach

Hans Schmandt, der örtliche Maler-Senior, wählte für den Eklat die Bühne. Bei einer Vernissage in der Galerie seines Künstlerfreundes Karl-Heinz Wagner schleuderte er vor ausgewähltem Publikum die Kulturpreis-Medaille dem Bürgermeister Jürgen Heyer wie einen Fehdehandschuh vor die Füße. Der Sozialdemokrat empörte sich zwei Tage später, als er die Sprache wiedergefunden hatte: “Das war ein blanker Affront gegen mich.”

Mit seinem Tiefschlag setzte der lokale Kunstpapst einen vorläufigen Höhepunkt in einem Streit, der dietzenbachtypische Züge trägt: ein Held (der Künstler Schmandt), ein Schuft (der Kommunist Weilmünster) und die Kanalgebühren im Hintergrund.

Auf der Strecke bleibt dabei voraussichtlich ein Wandbild, mit dem die Künstlergruppe “Diriangen”, benannt nach einem Nica-Häuptling aus der nicaraguanischen Partnerstadt Masaya, zum Kolumbus-Jubiläum 500 Jahre europäische Segnungen für Lateinamerika thematisieren will. Das Bildnis, das sieben Meter breit und siebzehn Meter hoch auf der Rathaus-Eckwand einen Blickfang bilden würde, führt den Passanten in Augenhöhe die Ahnengalerie lateinamerikanischer Revolutionäre vor: Simon Bolivar und Tupac Amaru, Sandino, Che Guevara und Salvador Allende.

Fidel Castro ging schon bei einem Vorentwurf über den Deich, ebenso verschwanden der Raketenkranz auf dem Kopf der Freiheitsstatue und die Totenköpfe im US-Banner. Nur noch für Weitsichtige erkennbar ist ganz oben links die Ausrottung der Hoch- und Primitivkulturen des Subkontinents. Der Gruppensprecher Noel Calero: “Wir malen die Realität, in der unsere Völker leben.”

Pate des Projekts auf Dietzenbacher Seite ist Richard Weilmünster, der letzte Ur-Dietzenbacher im Magistrat und der einzige kommunistische Stadtrat in Hessen. Er dichtete seine Pläne nach dem Prinzip ab, daß man Bäume am besten im Wald versteckt. Zur Diskussion über jede einzelne Entwicklungsstufe lud er öffentlich ein, aber kaum jemand kam – vor allem nicht der Dietzenbacher Künstlerkreis um Schmandt und Wagner. 15 000 Mark Komplementärfinanzierung der Stadt wurden im Etat verankert, aber die CDU-Opposition erkundigte sich lediglich, warum die Summe beim Untertitel “Bürgerhaus” verbucht wurde. Aus der insgesamt neunstündigen Diskussion über die Bildentwürfe zog sich der CDU-Vertreter nach fünfzehn Minuten zurück.

Feuer bekam Weilmünster dann aber aus einer Ecke, mit der er nicht gerechnet hatte. Ein Schmandt-Freund, der Graphiker Günther Schwinn, machte mobil: “Hier geht es um eine Partnerschaft mit Sandiriisten, die von der Mehrheit der Bevölkerung nicht getragen wird.” Er investierte 1200 Mark in eine sechsspaltige Anzeige im Stadtanzeiger (“Wir sind dagegen”) und sammelte über 3000 Unterschriften. Schwinn über seinen Erfolg: “Da ist so viel anderes passiert, da war das Wandbild nur noch der Tropfen, der das Faß zum Überlaufen gebracht hat.” Das andere sind vor allem die neuen Kanalgebühren, die – ökologisch gesehen – sehr fortschrittlich, aber so kompliziert sind, daß sie die Stadtverwaltung nicht in den Griff bekommt. Seit mehr als einem Jahr jagen sich Gebührenbescheide und Widersprüche. Schaden hat zwar außer der Stadt noch niemand erlitten, aber die Bürger sind pikiert.

Der Teufel an der Rathauswand – Seite 2
Hans Schmandt, der das Wandbild nicht für “ein Werk der Kunst, sondern der Propaganda” hält, erinnert sich an die Zeiten, als sich die städtische Kulturpolitik im Grußwort des Bürgermeisters bei Vernissagen erschöpfte: “Früher gab es eine offene Politik. Da konnte man leben und leben lassen. Heute ist das alles einseitig ausgerichtet.” Sein Künstlerkreis sagte vorsorglich die Weihnachtsausstellung 1992 im Rathaus ab. Kollege Wagner, Genosse seit 23 Jahren, gab nach der ersten von zwei SPD-Versammlungen zu dem Wandbild sein Parteibuch zurück.

In der vergangenen Woche kapitulierte Richard Weilmünster nun mit einer persönlichen Erklärung in der Stadtverordnetenversammlung vor so viel Widerstand: “Den allgemeinen Unmut der Bevölkerung gegen dieses Projekt habe ich unterschätzt.” Er nahm Abschied von seiner Idee, mit dem Wandbild aus der Spenden-Einbahnstraße Dietzenbach-Masaya einen lebendigen Dialog zwischen hüben und drüben zu entwickeln: “Mir ging es um mehr, als nur unsere Position als Gönner bestätigen zu lassen.”

In der Niederlage erkannte der Stadtrat aber noch einen Funken Hoffnung. Vielfach habe sich, so sinnierte er, der Protest nicht gegen das Bild als solches, sondern gegen die Rathauswand als Malfläche gewandt. Damit hätten sich die Dietzenbacher erstmals in sechzehn Jahren mit dem Rathaus auf der grünen Wiese, dem Symbol einer umstrittenen städtebaulichen Entwicklung, identifiziert.

Für die nächste Parlamentssitzung kündigte Weilmünster “geeignete Vorschläge” der Unabhängigen Kommunisten “für andere Formen der Herangehensweise” an das Thema Kolumbus-Jubiläum an. Hartmut Blinten

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https://www.zeit.de/1992/15/der-teufel-an-der-rathauswand/komplettansicht

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