Herbert Michel hat 50 Jahre die Kneipe “Zur Grotte” in Dietzenbach betrieben.
Zeitungsartikel über Herbert Michel
Offenbach Post vom 18.06.2016:
In den Tischen schlummern mehr als 50 Jahre Stadtgespräch
Zur Grotte: Persico, Charme und Vergangenheit
Dietzenbach – Herbert Michel, der Besitzer der Grotte, ist in Dietzenbach so bekannt wie ein bunter Hund. Und ob seiner 75 Jahre denkt der Kneipier nicht ans Aufhören, sondern schmiedet Zukunftspläne. Von Ronny Paul
Er ist ein städtisches Urgestein – obwohl er in Dietzenbach weder geboren, noch aufgewachsen ist. Seine Kneipothek „Zur Grotte“ gehört zur jüngeren Stadthistorie wie kaum ein zweites Etablissement. Wohl jeder Dietzenbacher hat zumindest schon einmal davon gehört. Hat dort ein Bierchen oder Persico (Kirsch-Likör) getrunken. Oder ganze Abende, seine Jugend dort verbracht. So manch ein Pärchen hat in der Grotte zusammengefunden oder ist dort auseinandergegangen. Und seit mehr als 50 Jahren stets mittendrin: Herbert Michel. Am 1. Juli 1960 haben Michels Eltern aus dem Haus an der Rathenaustraße ein Spezialitätenlokal gemacht. Fünf Jahre lang hat Michels Mutter Annie dort Wild und Fisch aufgetischt. „Das ist gut gelaufen“, erinnert sich Michel, der zu der Zeit kellnerte. 1965, Michel war 25 Jahre alt, sagte er zu seiner Mutter: „Der Laden läuft so gut, da machen wir eine Disko draus.“ Gesagt, getan. Er kaufte das Haus, Mutter Annie setzte sich zur Ruhe. Michel bastelte das bis heute prägnante Höhlen-Design mit herunter hängenden Stalagmiten aus Folie, Holz, Pappmaché und viel Leim selbst zusammen. „Ich bin zwar kein Handwerker, aber fantasievoll“, sagt der heute 75-Jährige. So war die erste Jugenddisko Dietzenbachs und der umliegenden Gemeinden geboren. Bis heute hat sich an dem Interieur so gut wie nichts verändert.
Die Grotte versprüht immer noch den Flair der wilden 60er und 70er Jahre: In Tischen und Barhockern schlummern mehr als 50 Jahre Stadtgespräch. In den Gitarren an den Wänden vibriert immer noch der Beat der 60er. Die zu Kerzenhaltern umfunktionierten Whiskeyflaschen spiegeln Gesichter ganzer Generationen wider. Die Gitterluke an der Eingangstür kennt wohl bald so viele Fingerabdrücke wie die Datenbank der Polizei. Und vereinzelte Schiffsbilder erzählen von Michels Zeit vor der Grotte: Er ist gelernter Binnenschiffer. Doch obwohl er manchmal ans Wasser und Bootfahren dachte, blieb ihm kaum Zeit zur Wehmut: Die Grotte entwickelte sich zum „Selbstläufer“. „Ich habe mein Geld im Schlaf verdient, jeden Tag war die Grotte voll“, erinnert sich Michel.
Außer dienstags, da ist Ruhetag. Für die meisten Dietzenbacher war das „ein Volkstrauertag“, sagt der lebensfrohe Wirt und lacht. Seit den 90er Jahren ist es in der Grotte etwas ruhiger geworden, die Jugend habe sich umorientiert: „Früher habe ich die Bravo gekauft und kannte alle Musikhits – heute geht das nicht mehr“, sagt der Elvis-Fan. Er hätte am Liebsten mehr Ü-50-Gäste: „Mit denen kann ich umgehen, die kennen meine Musik.“ Wenn jeder nur ein Mal im Monat käme, der mich auf der Straße grüßt, wäre der Laden immer voll“, meint Michel und lacht.
Wenn der Grottenbetreiber auf die Straße geht, sei stets die Frage: „Herbert, Gude! Wie lang’ willste das eigentlich noch machen?“ – „Ich bin jetzt 75, fühle mich aber wie 50“, antwortet der gebürtige Norddeutsche aus der Lüneburger Heide. „Wenn ich es durchhalte, möchte ich in der Grotte 80 Jahre alt werden – wenn nicht, wäre es mir Recht, hinter der Theke umzufallen.“ Er muss wieder lachen.
Michel plant, die Grotte ganz zum Oldie-Club umzufunktionieren, mit Hits aus den 60er- bis 90er-Jahren: „So kann keiner über die Musik meckern.“ Derzeit hat die Grotte freitags und samstags ab 20 Uhr geöffnet. Mittwoch und Donnerstag werden wohl bald wieder hinzukommen, sagt Michel. Zudem kann die Grotte und der separate Raum für Feiern gemietet werden.
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https://www.op-online.de/region/dietzenbach/grotte-dietzenbach-persico-charme-vergangenheit-6498526.html
Offenbach Post vom 10.02.2018:
Noch einen Persico
Die Grotte öffnet heute zum letzten Mal ihre Türen
Dietzenbach – Jahrzehntelang war Herbert Michels Kneipothek „Zur Grotte“ ein Monolith in Dietzenbachs Gaststättenlandschaft. Heute, nach dem Fastnachtsumzug, steht die letzte offizielle Öffnung an. Von Christian Wachter
Der Abend senkt sich auf die Dächer der Vorstadt, die Kinder im Hof müssen heim. Der Tag ist vorüber, die Menschen sind müde, doch viele gehn’ nicht gleich nach Haus, denn drüben klingt aus einer offnen Türe Musik auf den Gehsteig hinaus. Als Peter Alexander 1976 „Die kleine Kneipe“ besungen hat, muss er damit auch Lokalitäten wie Dietzenbachs Grotte gemeint haben. Heute ist dort – so machte es in den sozialen Medien die Runde – das letzte Mal Gelegenheit, über das zu sprechen, was einem die Laune vergällt, bei Bier und Persico noch einmal Lösungen zu finden für alle Probleme der Welt. Nach dem Umzug lädt die Grotte zur „letzten offiziellen Öffnung“, wie es unter anderem auf Facebook zu lesen war. Noch vor Rosenmontag wird aus dem Gebäude an der Rathenaustraße ein reines Privathaus.
Die Party wird von Herbert Michels Sohn Wolfgang organisiert. Natürlich, erzählt Herbert Michel, der die Gaststätte jahrzehntelang betrieb, werde er aber auch da sein. Die große Inszenierung des letzten Biers, des letzten Zusperrens der Tür, wird es nicht geben. „So etwas mach ich net, ich hör einfach uff“, sagt er. Die Gäste kamen einfach nicht mehr so zahlreich wie früher. Den einen Moment, die eine Anekdote gibt es nicht, wenn er darüber nachdenkt, was von der langen Zeit am ehesten hängen bleibt. „Ach das sind all die Jahre, da muss man die Gäste fragen.“
Zu Beginn der Sechzigerjahre, erinnert sich Michel, haben seine Eltern das Haus an der Rathenaustraße gekauft, servierten gut-bürgerliche Küche. „So etwas gab es in Dietzenbach damals noch nicht, man hat vielleicht Frikadellen bekommen, viel mehr aber nicht.“ Seine Mutter kannte sich damals schon aus in der Gastronomie, hatte im Heimatort Neckarsteinach in einer Gaststätte gearbeitet. Die Geschäfte liefen gut und 1965 kaufte Herbert Michel das Gebäude. Der Plan: Aus der Gaststätte sollte eine Disko werden. Von da an tanzten sich Generationen durch die Musikgeschichte, sangen mit, wenn Michel Lieder wie „Junge, komm’ bald wieder“ oder „Sie hieß Mary Ann“ auflegte. Er habe immer gut mit den Leuten gekonnt, sagt Michel, sei gerne mittendrin gewesen. „Ob jemand ein Kind gemacht hat oder irgendetwas anderes passiert ist, ich war immer der Erste, der etwas erfahren hat“, sagt er lächelnd.
Die Inspiration für das bis heute so markante Interieur sei fast zufällig gekommen. In einer Gaststätte an der Mosel hatte die Familie eine Gaststätte entdeckt, die auf die Grotten-Optik setzte. Ob der Distanz nicht von Konkurrenzbedenken geplagt, kam der Besitzer sogar vorbei und beriet. Dann legte Michel selbst Hand an, besorgte die Folie, die einst orangefarben war und heute blau ist, Pappmaché und alles, was sonst noch gebraucht wurde.
So richtig Stress gab es selten, sagt Herbert. Einmal, sei „eine Bagage aus Offenbach“ aufgetaucht, die ganz offensichtlich Stress suchte. Allerdings waren die Handballer und Fußballer der Kreisstadt Stammgäste zu dieser Zeit. Und als sie geschlossen aufstanden, waren die Gäste leicht zur Heimreise zu bewegen. Natürlich, erinnert er sich, habe es trotzdem ab und an ein Hausverbot gegeben. Wen er aber kannte, dem standen die Türen zur Rehabilitation offen.
Den Persico hat Michel in einer Kneipe in der Heimat entdeckt. Er kaufte dem Wirt eine Flasche ab und fand im Großhandel mehr davon. Bald wurde der Kirschlikör Kult. „Man muss ihn auf drei Schlucke trinken, dann hat man was Gutes und keinen Kater.“ Er werde die Grotte vermissen, sagt Michel. „Manchmal sage ich zu meiner Frau: Guck, es ist 20 Uhr, eigentlich würde ich jetzt aufmachen.“
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https://www.op-online.de/region/dietzenbach/dietzenbach-grotte-rathenaustrasse-oeffnet-heute-letzten-ihre-tueren-9602771.html
Zusammengetragen von Cengiz Hendek