Zekiye Küpelikilinc ist in Kahramanmaras-Helete in der Türkei geboren und aufgewachsen.
Sie kam 1973, im Alter von 17 Jahren, mit ihrem Mann nach Deutschland. Drei ihrer Geschwister leben auch in Deutschland, eine Schwester lebt noch in der Türkei.
Gemeinsam Zukunft gestalten
Aus dem Projekt zum Dialog der Generationen:
Frau Küpelikilinc, wo und wie haben Sie Ihre Kindheit verbracht?
Meine Kindheit habe ich in Helete unter finanziellen Schwierigkeiten verbracht. Mein Vater hat uns die Schule bereits nach der 2. Klasse verwehrt, was mir sehr schwergefallen ist, da ich unbedingt weiterhin die Schule besuchen wollte. Zudem musste ich mit 16 Jahren dann auch heiraten. Später kam ich nach Deutschland, wo ich aufgrund dessen, dass ich nicht lesen und schreiben konnte, mit weiteren Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.
Sie konnten damals nicht lesen und schreiben?
Nein, leider nicht. Mein Mann ging zur Arbeit und ich war ganz allein auf mich gestellt.
Haben Sie mittlerweile das Lesen und Schreiben gelernt?
Ja, habe ich. Ich hatte keine Bücher zur Verfügung, also besorgte ich mir eine Tageszeitung und lernte anhand dessen das Lesen und Schreiben.
Um wieder auf Ihre Kindheit zurückzukommen, wie erlebten Sie Ihre Kindheit zwischen dem 12. und dem16. Lebensjahr, also bis zu Ihrer Heirat?
Wie soll ich es erlebt haben. Da wir ländlich gelebt haben, verbrachten wir den Tag auf Bergen und Wiesen und waren glücklich. Später zogen wir in das Dorf, dort sahen wir Kinder, die zur Schule gingen und beneideten sie. Wie gern hätten wir auch eine Schuluniform getragen und wären zur Schule gegangen.
Sind all Ihre Geschwister nicht zur Schule gegangen?
Nein, nur ich und meine ältere Schwester nicht, meine jüngeren Geschwister aber schon. Damals hatte mein Vater vier schulpflichtige Kinder mit jeweils zwei Jahren Altersunterschied. Aufgrund seiner finanziellen Situation war er aber nicht in der Lage, all seine Kinder in die Schule schicken zu können.
Somit verbrachten Sie Ihre Kindheit also mit landwirtschaftlichen Arbeiten?
Nein, in der Landwirtschaft habe ich nie gearbeitet. Mein Vater ging alleine arbeiten, wir blieben zu Hause.
Und Ihre Ehe? Wollten Sie heiraten oder wurden Sie von Ihren Eltern dazu gezwungen?
Ich wollte nicht, es war der Wunsch meiner Eltern.
Ist Ihr Mann ursprünglich auch aus Helete?
Ja, ist er. Damals lebte er aber bereits in Deutschland. Als er im Jahre 1972 in Helete Urlaub machte, beschlossen unsere Eltern uns miteinander zu verheiraten. Wir wurden nicht gefragt, ein Mitspracherecht hatten wir nicht.
Kannten Sie Ihren Ehemann denn damals?
Nein, wir kannten uns nicht. Er ist ja zehn Jahre älter als ich.
Das ist in der Tat ein großer Altersunterschied. Haben Sie damals sofort zugestimmt?
Das Ganze, also sich kennenlernen und heiraten, hat insgesamt nur 15 Tage gedauert.
Was war Ihrer Meinung nach der Grund, dass Ihre Eltern dieser Ehe zugestimmt haben?
Vielleicht die Tatsache, dass der zukünftige Schwiegersohn in Deutschland lebt?
Nein, das war es nicht. Zu der Zeit wurden die Töchter nun einmal in jungen Jahren, so mit ihrem 16., 17. Lebensjahr verheiratet, kaum begegnete man einer unverheirateten 20-Jährigen.
Kamen Sie direkt nach Ihrer Eheschließung nach Deutschland?
Nein, ich kam neun Monaten nach der Eheschließung nach Deutschland.
Und wann genau kamen Sie nach Deutschland?
Am 04.02.1973.
Mit welchen Schwierigkeiten wurden Sie in Deutschland konfrontiert?
Es gab zwar vier Familien, die wir kannten, aber die waren alle berufstätig. Mein Mann ging auch arbeiten, so dass ich tagsüber immer alleine war. Ich beschäftigte mich den ganzen Tag nur mit Hausarbeiten. Auf Dauer belastete diese Lage meine Psyche so sehr, dass ich zum Arzt gehen musste.
Es war nicht leicht für Sie. Sie haben mit 16 Jahren geheiratet, sind mit 17 Jahren nach Deutschland gekommen, hier kannten Sie wiederum keinen, konnten auch nicht lesen und schreiben, so dass Sie den ganzen Tag auf Ihren Mann gewartet haben, um etwas unternehmen zu können.
Sind Ihre Kinder in Deutschland auf die Welt gekommen?
Ja, sind sie. Ich habe zwei Söhne, einer ist am 03. April1975 geboren und der andere am 04. Juli 1976.
Haben Sie bei der schulischen Entwicklung Ihrer Söhne mit Problemen zu kämpfen gehabt?
Ja, natürlich. Aufgrund dessen dass ich nicht lesen oder schreiben konnte, hatte ich nicht die Möglichkeit ihnen bei den Hausaufgaben behilflich zu sein.
Welchen Abschluss haben Ihre Söhne gemacht?
Sie haben beide ihren Realschulabschluss gemacht. Der eine Sohn hat dann seine Lehre als Maler/Tapezierer gemacht und der andere als Industriekaufmann. Ich bin froh, dass sie es dennoch soweit geschafft haben.
Sind Ihre Söhne verheiratet?
Ja, der ältere Sohn. Ein Enkelkind habe ich auch schon.
Frau Küpelikilinc, haben Sie in Deutschland gearbeitet?
Ja, das habe ich und zwar von 1978 bis 1989. Aufgrund eines schweren Autounfalles im Jahre 1989 lag ich 3 Monate im Krankenhaus, danach war ich wegen meiner gesundheitlichen Beschwerden nicht mehr in der Lage zu arbeiten und wurde Frührentnerin.
Was waren Ihre Erwartungen oder Pläne als Sie nach Deutschland kamen?
Eigentlich wollten wir, wie alle anderen auch, ein wenig Geld verdienen und wieder zurück in die Türkei, aber dann sind die Kinder groß geworden, fingen mit der Lehre an, wir haben uns an das Leben hier gewöhnt und fühlen uns wie in unserem eigenen Land.
Ist Deutschland Ihre neue Heimat?
Ja, klar. Schließlich habe ich nur 16 Jahre in der Türkei und 38 Jahre in Deutschland verbracht.
Ich weiß, dass Sie hier viele Bekannte aus Ihrem Dorf haben. Haben Sie denn auch Kontakt zu Deutschen oder Italienern?
Ich habe deutsche Nachbarn, mit denen wir uns sehr gut verstehen.
Haben Sie denn noch Kontakt zur Türkei?
Ja, das haben wir. Wir fahren jedes Jahr auch hin.
Was macht Ihr Mann?
Der ist auch Frührentner.
Mittlerweile sind Ihre Söhne alt genug, wollen Sie dennoch nicht für immer in die Türkei zurückkehren?
Nein, das wollen wir nicht. Unsere Heimat ist hier.
Sind Sie mit Ihrem Leben in Deutschland zufrieden?
Ja, das bin ich.
Wie sehen Sie die Zukunft Ihrer Kinder in Deutschland?
Bislang war das Leben in Deutschland sehr angenehm, aber für die Zukunft mache ich mir wegen der hohen Arbeitslosenzahl große Sorgen. Zu unserer Zeit gab es genügend Arbeit und wir haben auch jede Arbeit angenommen, aber die Jugend von heute akzeptiert vieles nicht.
Aber dennoch wollen Sie, dass Ihre Söhne weiterhin in Deutschland leben?
Ja, das will ich.
Finden Sie, dass allgemein genug Angebote für die Migranten gemacht werden?
Nein, ich finde die Angebote nicht reichlich. Ich würde mir wünschen, dass man uns nicht mit anderen Augenanschaut und uns mit Deutschen gleichstellt, wir leben letztendlich seit Jahren hier.
Gibt es sonst irgendetwas was Sie sagen möchten, beziehungsweise hinzufügen möchten?
Ich wünsche mir Frieden für die Zukunft und dass sich die Menschen unabhängig von ihrer Religion, ihrer Herkunft und Nationalität gut verstehen und gut miteinander auskommen.
Da kann ich mich nur anschließen und bedanke mich für das Interview mit Ihnen.