Saricicek, Fadime

Fadime Saricicekist 1937 in Kahramanmaras/Elbistan geboren. Sie ist dasdrittälteste von vier Kindern, einer ihrer Brüder lebt auch in Deutschland.1962 ist sie nach Deutschland gekommen.

Frau Saricicek, wie haben Sie Ihre Kindheit erlebt?
Ich hatte keine schöne Kindheit, mein Vater hatte aus seiner ersten Ehe fünf Kinder und aus der zweiten vier, es kam zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Geschwistern. Außerdem habe ich bereits mit fünfzehn Jahren geheiratet.

Hatten Sie dann vor der Ehe noch die Möglichkeit gehabt, die Schule zu besuchen?
Nein, ich musste arbeiten und konnte deshalb nicht zur Schule, das ist auch der Grund, warum meine Kindheit nicht gut verlief.

Wo haben Sie als Kind gearbeitet?
Mein Vater hat auf dem Feld gearbeitet und wir haben ihm Essen und Trinken gebracht. Morgens habe ich mich um die Tiere gekümmert oder Gartenarbeiten erledigt.

Sie sagten, dass Sie mit 15 Jahren geheiratet haben, war es denn eine Zwangsehe oder gewollt?
Ich habe meinen Mann das erste Mal am Hochzeitstaggesehen.

Wie hoch ist der Altersunterschied?
Er war damals 19 Jahre alt, also vier Jahre Unterschied.

Hat Ihr Vater bestimmt, welchen Mann Sie zu heiraten haben?
Mein Mann lebte in einem anderen Dorf, seine Schwester hatte aber einen Mann aus unserem Dorf geheiratet und war unsere Nachbarin, sie verstand sich mit meiner Mutter sehr gut. Sie fand mich ganz nett und wollte, dass ihr Bruder und ich uns kennen lernen. Damals hat mein Mann in Istanbul bei seinem Onkel gearbeitet. Wir verlobten uns also, als ich 15 Jahre alt war. Nach einem Jahr zog ich nach Istanbul und wir heirateten dort. Aber eine schöne Ehe hatte ich nicht. Da das Leben auf dem Dorf mühsamer ist, müsste sich Ihre Lebenssituation in Istanbul verbessert haben. Ich lebte zwar auf dem Dorf, war aber dennoch gut gebildet, deshalb habe ich mit meinem Umfeld in Istanbul keine Probleme gehabt.

Wie lange waren Sie verheiratet?
Wir trennten uns bereits nachdem wir zwei Jahre in Deutschland gelebt hatten.

Wann und wie kamen Sie nach Deutschland?
Wir lebten im Jahre 1960 in Istanbul in der Gegend von Sultanahmet. Wie Sie wissen wird diese Gegend viel von Touristen besucht. Eine deutsche Familie verbrachte jedes Jahr ihren Urlaub dort. Aufgrund meiner Offenheit befreundeten wir uns mit dieser deutschen Frau, die zwei Kinder hatte. Nach einiger Zeit kam sie mich sogar auch mal besuchen. Nachdem wir drei Jahre befreundet waren, lud uns diese Familie nach Karlsruhe, wo sie damals gelebt hatten, ein. Da mein Mann aber gearbeitet hat undkeinen Urlaub hatte, ging ich alleine nach Deutschland.Dort erfuhr ich dann, dass diese deutsche Familie eine sehr reiche Familie ist, die insgesamt 17 Firmen besaß. Sie fragten mich, ob ich für immer in Deutschland leben will. Da ich es auch wollte, halfen sie bei der Wohungssuche. Nach einiger Zeit kam auch mein Mann nach und wir arbeiteten gemeinsam in einer der Textilfirmen dieser deutschen Familie. Das ist meine Einreisegeschichte.

Hatten Sie damals den Gedanken, irgendwann einmal wieder in die Türkei zurück zu kehren?
Ja. Wir wollten arbeiten, uns ein Haus und ein Auto kaufen und wieder in die Türkei zurückkehren. Aber leider betrog mich mein Mann mit einer anderen Frau. Wir trennten uns und konnten unsere Träume nicht verwirklichen. Aus der ersten Ehe haben Sie zwei Kinder.

Wie viele Kinder haben Sie insgesamt?
Zwei noch aus der zweiten Ehe, also insgesamt vier. Aber wie Sie wissen, war mein zweiter Ehemann auch kein guter Mensch, so ließ ich mich auch von ihm scheiden.

Frau Saricicek, beide Ehen verliefen nicht gut. Hatten Sie denn wenigstens Erfolg im Arbeitsleben?
Ja, sehr. Auf jeder Arbeitstelle war ich beliebt und hatte viel Erfolg, sie wollten nie, dass ich mein Arbeitsverhältnis kündige. Gleichzeitig war ich auch in der Nachbarschaft sehr beliebt.

Seit wann sind Sie Rentnerin?
Seit etwa 20 Jahren. Sie sind 73 Jahre alt, dass heißt, dass Sie mit 53 Jahren in Rente gingen. Trotzdem sind Sie nicht in die Türkei zurück gekehrt.
Warum? Ich habe mich dafür nicht bereit gefühlt, sowohl in finanzieller als auch in geistiger Hinsicht.

Obwohl Sie soviel gearbeitet hatten, ist es Ihnen nicht gelungen, das Geld dafür aufzutreiben?
Nein, leider nicht. Ich habe zwar viel gearbeitet, hatte aber gleichzeitig viele Personen zu betreuen. Es kam regelmäßig vor, dass ich bis zu 15 “Touristen” als Besuch zu Hause hatte, aber ich habe nie etwas im Gegenzug erhalten.

Sie haben momentan keine gesundheitlichen Beschwerden. Wo und wie wollen Sie leben, wenn es Ihnen mal nicht mehr so gut gehen wird?
Das ist eine gute Frage. Mein Arzt und meine Verwandten sind der Meinung, dass ich dann im Altenheim leben sollte, aber ich will das nicht. Das kommt für mich nur dann in Betracht, wenn ich keine anderweitigen Möglichkeiten mehr hätte.

Sie leben nun seit fast 50 Jahren in Deutschland. Was denken Ihrer Ansicht nach die Deutschen über die Ausländer?
Ich habe selbst nie schlechte Erfahrungen gemacht, aber um ehrlich zu sein, sind sie im allgemeinem schon ein wenig gegen Ausländer. Deutsche sind besser gestellt, als Ausländer.

Warum sind Sie trotz dieser Diskriminierung nicht zurück in die Türkei gegangen?
Ich war mit der Verwirklichung einiger Ziele beschäftigt.

Leben Sie nun gerne in Deutschland?
Ich lebe zwar gerne hier, vermisse aber dennoch meine Heimat. Meine Geschwister und Bekannte leben dort. Da ich bereits seit meinem 60. Lebensjahr nicht mehr in meiner Heimat war, würde ich diese gerne noch vor meinem Tod sehen wollen.

Wo verbringen Sie die meiste Zeit des Jahres?
Ich konnte eh seit zwölf Jahren nicht in meine Heimat, weil ich krank war und nicht fliegen konnte. Deshalb habe ich die meiste Zeit hier verbracht.

Gute Besserung. Können Sie denn jetzt fliegen?
Jetzt ja.

Wie lange bleiben Sie dann dort?
Da ich einige Leistungen bezog, musste ich mich an bestimmte Fristen halten. Eine heimliche Umgehung dieser Fristen kam für mich nicht in Frage. Ich würde mich schämen so etwas zu machen.

Sind Sie der Meinung, dass in Pflegeheimen für Migranten Sonderregelungen durchgeführt werden sollen? Was sollte man für muslimische Bürger tun?
Eigentlich bin ich gegen eine Sonderregelung. Wir würden uns gerne integrieren, aber werden nicht immer akzeptiert. Aus diesem Grund wäre eine zusätzliche Räumlichkeit für muslimische Bürger angebracht.

Frau Saricicek, haben Sie irgendwelche Ratschläge für die hier lebenden Jugendlichen oder türkischen Mitbürger?
Den Jugendlichen würde ich empfehlen, dass Sie sich gutbilden und es nicht wie wir vernachlässigen.

Sollen Sie sich für Deutschland engagieren?
Wir sollten trotz alledem unseren Respekt gegenüber den Deutschen nicht verlieren.

Gibt es etwas was Sie ergänzen möchten?
Ich möchte lediglich betonen, dass ich nicht an eine vielversprechende Zukunft in Deutschland glaube.

Aus welcher Hinsicht?
Als erstes ist die aktuelle Politik ausländerfeindlich und zweitens, die immer schlechter werdende Wirtschaftslage.

Ich bedanke mich recht herzlich für dieses Gespräch und hoffe, dass es Ihnen auch Spaß gemacht hat.

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